Undenkbar – Unsagbar – Unteilbar: Unfassbar
Dabei handelt es sich um eine Neuauflage der Demonstration vom 13. Oktober 2018 in Berlin, die im Zuge des angeblich unaufhaltsamen Aufstiegs des Rechtspopulismus in Form der AfD stattfand. Dies stand auch im Kontext des kurz zuvor ermordeten Daniel H. sowie der anschließenden rechten Auseinandersetzungen in Chemnitz. Knapp eine Viertelmillion Menschen demonstrierte gegen den beanstandeten gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck. Dabei handelte es sich um eine der größten Demonstrationen gegen rechts seit 1990, was die ausgegebene Stoßrichtung der Veranstaltung auf vermeintlich verlorenem Posten zu stehen, konterkariert. Obwohl laut eigener Bekundung auch die Soziale Frage eine wichtige Rolle spielen sollte, blieb diese sprichwörtlich auf der Strecke.(1) Vielmehr war es das Schaulaufen der Postmoderne.
Dazu gehörte der Schulterschluss mit dem Zentralrat der Muslime, der zu den Erstunterzeichnern gehört und in dessen Dunstkreis sich verschiedene islamistische und andere reaktionäre Gruppen herumtreiben: sozusagen mit rechts gegen rechts, solange die ersten auf der kulturell richtigen Seite stehen. Nicht zu vergessen die BDS-Truppenteile, die sich ebenfalls lautstark auf der Demonstration Gehör verschafften.(2)
Der nun für Dresden veröffentlichte Aufruf orientiert sich klar an demjenigen zur Großdemonstration in Berlin. Allein die ersten zwei Sätze – abgesehen von dem geistigen Wirrwarr um „undenkbar“ und „unsagbar“ – offenbaren, wie schwer es anscheinend heute Menschen fällt, inhaltslogisch einige Zeilen zu schreiben. Hinzu tritt die typische Geschichtsvergessenheit. Doch der Reihe nach.
„Was gestern mehrheitlich noch undenkbar war und als unsagbar galt, ist heute Realität. Humanität und Menschenrechte, Religionsfreiheit und Rechtsstaat werden offen angegriffen.“Das zumindest behaupten die Autoren des Aufrufs. Doch gerade in Sachsen, dass seit 1990 von der CDU regiert wird, fragt man sich, was im Freistaat als „undenkbar“ und „unsagbar“ galt? Eventuell meinen die Verfasser und Verfasserinnen die „goldenen 1990er-Jahre“, als auf dem ehemaligen Gebiet der DDR in einigen Landesteilen noch offener nationalsozialistischer Terror herrschte, so auch in Sachsen. Oder die Nullerjahre, in denen das Arbeitslosengeld II unter der eher geläufigen Bezeichnung Hartz IV eingeführt wurde und die Schlägertruppe „Skinheads Sächsische Schweiz“ ihren Höhepunkt hatte. Es kann auch sein, dass damit die Legislaturperioden der NPD im sächsischen Landtag von 2004 bis 2014 gemeint ist. Anscheinend waren das die guten Jahre.(3)
Und die tatsächlich sinnvollen Sätze des Aufrufs bleiben unpersönlich und abstrakt, u.a. wenn von Sozialstaat, Flucht und Migration die Rede ist. Hierbei verschwinden die aktiv handelnden Individuen sowie ihre unterschiedliche Motivation hinter drei Schlagworten. Bezeichnend ist, dass mit hohen Mieten, schlechter Pflege- und Gesundheitsversorgung nur Symptome benannt werden. Über die Ursachen schweigt man sich aus. In dem Sinne kommt Lohnarbeit auch gar nicht vor. Dies ist umso ärgerlicher, wenn bedacht wird, dass die europäische Sozialdemokratie einen wesentlichen Anteil – in einigen Staaten sogar die Hauptschuld – am sozialen Kahlschlag hat.(4) Besonders für die Unterzeichner welche sich links der Sozialdemokratie verorten, stellt dies eine besondere Blamage dar.(5) Die gesamte Thematisierung der sozialen Frage scheint überhaupt nur ein Zugeständnis an diese Bündnispartner zu sein. Doch das bleibt nicht das einzige ‚Missgeschick‘ dieser Aktionisten.
Die Proklamation der Unteilbarkeit ist nichts als eine leere Phrase, da es ja gerade darum geht das „helle Deutschland“ vom „dunklen“ abzugrenzen.(6) Diese Bestrebungen wurden in Berlin mit dem Hofieren des politischen Islam offenkundig. Und hierin findet sich ein wohlwollendes Verständnis, denn wenn man #Unteilbar wortwörtlich liest, erinnert das an die deutsche Volksgemeinschaft. Diese wird nur auf links gewendet – als Volksgemeinschaft gegen rechts. Die Gruppe en arrêt aus Berlin formulierte sehr passend dazu: „Das wiedergutgemachte Deutschland zeigt sich ganz im Sinne des ‚Wir sind mehr‘-Pathos und bestätigt Horkheimers Satz aus seiner Notiz ‚Wir Nazis‘, in der es heißt: ‚Das Wir zu bewahren war die Hauptsache.‘“(7)
Das Bedürfnis gemeinsam und solidarisch gegen die Rechten zusammen zu stehen, ist durchaus nachvollziehbar, vor allem wenn man in Pirna oder ähnlichen sächsischen Provinzstädten oder -dörfern links sozialisiert wurde oder dunklere Hautfarbe hat. Aber dafür die eigene Kritik über den Haufen zu werfen kann nicht der Anspruch sein. Ideologiekritik, die nach den gesellschaftlichen Gründen sucht (die u.a. in Bezug auf die Soziale Frage vollständig ausgeblendet wurden), gegen Ideologieproduktion zu tauschen ist sicher bequem und heimelig, aber in keinster Weise emanzipativ.
An dieser Stelle ist es angebracht an Adornos Diktum zu erinnern, dass eben gerade nicht Bindungen zur Verhinderung des Faschismus beitragen, sondern die Autonomie! Selbstbestimmung, Reflexion und nicht mitmachen sind die Mittel der Wahl und nicht das Vorführen der größeren Gemeinschaft, wie es #wirsindmehr anstrebt. Es sollte eben gerade darum gehen, das Leiden aufzuzeigen, welches die bürgerliche Gesellschaft den Menschen zufügt und nicht darum ein wohliges Gemeinschaftserlebnis zu haben.(8) Solange Linke auf solche Mittel setzen, bleiben die „[…] objektiven gesellschaftlichen Voraussetzungen fortbestehen, die den Faschismus zeitigten.“(9) Das ist im Zuge des großen „Abwehrkampfes“ gegen den Rechtspopulismus nicht der Weg in die Befreiung, sondern in die Regression.
Dieser kleine Exkurs in die kritische Theorie, der zugegebenermaßen vornehmlich auf Autoritätsargumenten beruht, ist besonders mit Blick auf besagte vorgeblich kritische Akteure notwendig. Das steht im Einklang mit dem postmodernen Verfall, der in der Dresdner linken Szene zu beobachten ist. An dieser Stelle sei nur exemplarisch auf den Esoterikworkshop im AZ-Conni hingewiesen, der von böse und gemein ausgerichtet und mit den Worten „Witchcraft & Anarchism“(10) angepriesen wurde oder die Tatsache, dass Debora Antmann große Veranstaltungsräume füllt. Um aktuell zu bleiben kann auch auf den Vortrag vom 19.06.2019 hingewiesen werden, den Felicita Ewert gehalten hat.(11) Platt gesprochen, könnte man sich auch fragen was aus der früher konsensfähigen Parole „Gegen jeden Antisemitismus“ wurde, die mit den Ereignissen in Berlin letztes Jahr sicher nicht vereinbar ist. In solchen Entwicklungen zeigt sich, dass auch in linken Kreisen materialistische Kritik zu Gunsten der Queer-Theorie und Critical Whiteness abgelegt wird, wie die Badehose nach dem Schwimmen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen