Femen gegen Putin und Islamismus | Charlène Favier porträtiert die Femen-Mitbegründerin Oksana Schatschko | Jungle World
Charlène Favier porträtiert die Femen-Mitbegründerin Oksana Schatschko
Verlorene Ikone

Oxana (Albina Korzh): »Ich werde die Welt verändern«
Feministische Aktivistin, Sextremistin, Freiheitskämpferin à la Jeanne d’Arc – Oksana Schatschko haften viele Etiketten an. Die französische Filmemacherin Charlène Favier schildert in ihrem Biopic »Oxana«, in der deutschen Fassung noch mit dem erklärenden Untertitel »Mein Leben für die Freiheit« versehen, das kurze, stürmische Leben der 1987 in der Provinzstadt Chmelnyzkyj in der Ukraine geborenen Mitbegründerin der Frauenrechtsbewegung Femen, die am 23. Juli 2018 in Montrouge bei Paris verstarb. Ihr Tod wurde als Selbstmord eingestuft.
Im
Vorspann erfährt man, dass der Film frei nach Motiven der Biographie
von Oksana Schatschko erzählt. Im Film heißt die Hauptfigur schlicht
Oxana.
Der in Paris und in Ungarn – wohin die ukrainischen
Schauplätze verlegt wurden – gedrehte Film verdichtet die Rahmenhandlung
auf den 23. Juli 2018. An diesem Tag soll Oxanas Kunstausstellung mit
blasphemisch verfremdeten Ikonen eröffnet werden.
Die junge Künstlerin streunt verloren durch Paris. Sie trifft einen Liebhaber, spricht mit einer Journalistin, die ihr Worte in den Mund legen wird, die sie nie gesagt hat, nur damit die Schlagzeile stimmt. Um ihren Status als Flüchtling bestätigt zu bekommen, muss Oxana sich auf einer Behörde einer erniedrigenden Prozedur stellen. Abends steht sie in der Galerie, die ihre Arbeiten ausstellt, vor einem geöffneten Fenster. Ihr Freitod wird angedeutet.
Der Film erinnert daran, dass es die Femen-Bewegung war, die schon früh gegen den Putinismus aufbegehrt und sich damit immer größerer Gefahr ausgesetzt hatte.
Die junge Ukrainerin Albina Korzh verkörpert die Titelfigur mit großer Intensität und trägt den Film. Das Drehbuch verfasste die Regisseurin gemeinsam mit Diane Brasseur und Antoine Lacomblez. Mit vielen Rückblenden und Zeitsprüngen fällt die Dramaturgie etwas verschachtelt aus, die Erzählweise geht jedoch auf. Puzzleartig nähert sich der Film der ebenso starken wie sensiblen Persönlichkeit Oxanas und ihrem widerspenstigen, verträumten Künstlerwesen.
»Oxana« erinnert in seiner Ästhetik mitunter an die Filmsprache von Céline Sciamma (»Portrait de la jeune fille en feu«, 2019), vor allem zu Beginn und am Schluss, wenn ukrainische Frauen in der Nacht des Kupala-Tages, sprich zur Sonnenwende, Blumenkränze verbrennen, um die Natur zu feiern. Allerdings bricht Favier trotz des fast ausschließlich weiblichen Casts den male gaze längst nicht so konsequent wie Sciamma.
Eine Rückblende zeigt die Jugend Oxanas in der Ukraine. Die Tochter aus einer gläubigen orthodoxen Arbeiterfamilie lässt sich zur Ikonenmalerin ausbilden. Die Bilder werden von der orthodoxen Kirche in Auftrag gegeben und miserabel bezahlt. Immerhin verschafft Oxana der Familie damit ein Zubrot. Ihren Wunsch, ins Kloster zu gehen, gibt sie aus Enttäuschung über die Kirche auf. Später studiert sie Kunst und Kunstgeschichte und plant, einmal eine eigene Kunstgalerie zu betreiben.
Am berührendsten ist der Film, wenn er Oxana mit ihrer Mutter Lesia (Olesya Ostrovska) zeigt, etwa wenn beide unbeschwert baden gehen oder gemeinsam essen. Eine Szene thematisiert den Frauenhass in der Ukraine. Der Fernseher läuft. Der Nachrichtensprecher berichtet von einer Frau, die missbraucht und bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Die Kamera zoomt auf Oxanas schmerzverzerrtes Gesicht, während ihre Mutter sich routiniert bekreuzigt: »Mama, Beten allein hilft nicht«, sagt Oksana.
Für ihren Vater, der seit seiner Entlassung trinkt (und im Film unsichtbar bleibt), hat sie nur Bedauern und Verachtung übrig: »Er soll sich zwischen der Flasche und mir entscheiden!«
Die Kamera folgt der Teenagerin, die von ihrem Freiheitswillen getrieben wird. Sie hat Affären, will sich aber nicht binden. Befeuert von der Wut auf das System und den alltäglichen Sexismus beginnen Oxana und ihre Freundinnen damit, ihre Körper mit plakativen Parolen zu bemalen und dabei Blumenkränze im Haar zu tragen, die ihnen Oxanas Mutter flicht. So entsteht bei Wodka und elektrisierenden Beats die Femen-Bewegung als eine ganz eigene Form der Rebellion.
Gegen Sexismus, Korruption und Gewalt
Mit nacktem Oberkörper protestieren die Frauen gegen Sexismus, Korruption und Gewalt. Ein politisches Fundament hat die lose zusammengekommene Gruppe anfangs nicht wirklich. Einmal bezieht sich eine der Frauen auf August Bebel, eine andere auf Clara Zetkin. Was die Freundinnen eint, ist ihre Wut.
Das laute Geschrei der Nachbarn, die den Frauen raten zu heiraten statt zu demonstrieren, bestärkt sie nur noch in ihrem Tun. Vor allem, wenn Kommentare wie »Du bist hässlich« fallen, wird der Sexismus einer älteren, den Traditionen verhafteten Generation deutlich.
Bisweilen wirkt die Mädelstruppe, die den Voyeurismus der Männer bedient, um Aufmerksamkeit zu erregen, reichlich naiv; das selbstkritische Moment in Bezug auf die eigene Sexualisierung fehlt völlig. Selbstbewusst stellen sie ihre jugendliche Attraktivität zur Schau und bedienen damit auch das Klischee, das sie zerstören wollen.
Später nehmen auch die Spannungen innerhalb der Gruppe zu. Inna (Maryna Koshkina) schwingt sich zur Anführerin auf und beginnt, ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Verrat an der Sache und den Idealen der Bewegung heißt so etwas. Der Film zeigt Oxana traurig über eine Tasse Tee brüten: Wie konnte es so weit kommen?
Auch wenn die Widersprüche der Bewegung nur angedeutet werden, überzeugt der Film als filmisches Porträt einer inspirierenden Aktivistin und visionären Künstlerin. Das liegt vor allem am kraftvollen Spiel der Hauptdarstellerin und ihrer kecken, kompromisslosen Art. Oxana bringt die Dinge unumwunden auf den Punkt und sagt Sätze wie: »Ich werde die Welt verändern«, »Unsere Brüste sind unsere Waffen« und »Als Frau in der Ukraine kannst du entweder heiraten oder dich prostituieren«.
Den Jungs, mit denen sie sich trifft, ist die belesene Frau weit überlegen. So sieht man sie in einer Szene nackt neben einem jungen Mann in Bett in ein Buch vertieft: »1833 durchlebt Nikolai Gogol eine schwere moralische Krise. Er glaubt, Gott habe alle Menschen auf die Erde gesandt, um einen Auftrag zu erfüllen«, liest sie ihm vor und fragt: »Was ist dein Auftrag?«- »Du nervst«, antwortet ihr der unbedarfte Freund.
In Paris, wo sie ab 2013 im Exil lebt, konzentriert Oxana sich auf die Kunst als Mittel der politischen Intervention. Sie verlegt sich darauf, orthodoxe Bildkunst mit verstörenden Details zu versehen, um religiöse Dogmen mit feministischen und humanistischen Botschaften zu konfrontieren.
Der Film erinnert daran, dass es die Femen-Bewegung war, die schon früh gegen den Putinismus aufbegehrt und sich damit immer größerer Gefahr ausgesetzt hatte. Bei einer Aktion im belarussischen Minsk gegen Diktator Aleksandr Lukaschenko werden Oxana und ihre Mitstreiterinnen entführt, mit Verbrennung bedroht, geschoren und am Ende nackt und mit Öl übergossen im Wald ausgesetzt. Bei einer Demonstration gegen Putin werden Oxana beide Arme gebrochen. Schwer verletzt flieht sie daraufhin nach Paris.
Am Ende des Films sieht man Oxana am Tag ihrer Vernissage schemenhaft tanzen und der Welt entgleiten. Aber den von ihr begonnenen Kampf, meint Favier, führen die nachfolgenden Generationen weiter.
Oxana (F 2024). Buch: Charlène Favier, Diane Brasseur, Antoine Lacomblez. Regie: Charlène Favier. Darsteller: Albina Korzh, Olesya Ostrovska, Maryna Koshkina. Filmstart: 24. Juli
Leave a Reply
You must be logged in to post a comment.