Auf zum Kampf, Genossinnen
«Alle schwarzen Löcher werden irgendwann einfach verschwinden, in einem leichten Windhauch von Strahlung.»
Paul Davis
Am Achten Dritten ist Frauenkampftag. Hurra.
Auf, auf zum Kampf, Genossinnen.
Der Tag wird im Zeichen der Solidarität, des Empowerments, für den Kampf
gegen Gewalt und so weiter stehen, Frauen sind laut, sie wehren sich,
glaubt den Frauen, Nein heisst Nein, all die wichtigen Anliegen der
Intersektionalen Bewegung klingen so seltsam schwach, wenn man in dem
Zusammenhang oder in allen anderen Zusammenhängen den brutalen Angriff
auf jüdische und israelische Frauen totschweigt.
Wenn man schweigend akzeptiert, dass Überlebenden nicht geglaubt wird,
ihr Leid nicht zählt, ihre Stimme nicht gehört wird. Als ob man sie
belegen müsste, die Morde, die bestialischen Vergewaltigungen, die
Verstümmelungen, die Schändungen am 7. Oktober. Als stünden sie, falls
sie noch stehen können, nackt vor dem erbitterten Welt-Tribunal , das
sie in den Kontext ihrer Regierung begutachtet, das mit Butterbrotpapier
raschelt, während sie ihre Geschichten erzählen, falls sie noch reden
können, falls sie noch leben, falls sie überleben.
Als ob man sich nicht vorstellen könnte, was mit den Frauen und Mädchen
in der Haft der Hamas passiert ist, als ob man sich das Unvorstellbare
nicht vorstellen könnte, das nicht endende Grauen der Ohnmacht, der
hoffnungslosen Dunkelheit, von dem sich Frauen und Mädchen, falls sie
noch leben, vermutlich nie erholen werden.
Im Stich gelassen von einer Regierung, die nur an ihrem Erhalt
interessiert ist, verlacht, verhöhnt von vielen Muslimen im Netz,
relativiert von Linken, verhöhnt von Rechten, verlacht von der
Gemeinschaft der Wohlmeinenden, totgeschwiegen in den Medien, von
Frauenvereinen, von der Uno, der UNESCO und wie all diese Vereine
heissen, die sich schon bei den verlassenen, vergessenen Frauen in
Afghanistan durch nichts ausgezeichnet haben.
Wie könnt ihr schweigen, Feministinnen aller Länder, wie könnt ihr still
sein, ein Ja aber denken oder sagen, wie könnt ihr relativieren und
euch nicht für eine Sekunde Empathie gestatten, weil es nur israelische
Frauen sind? Weil es vorwiegend NUR Jüdinnen sind. Wie könnt ihr euch im
Spiegel betrachten mit eurem Schweigen, weiter an Gesetzesentwürfen
sitzen und Reden vorbereiten und Ted Talks und Demos für faire Löhne
organisieren, und faire Gesetze und fair ist hier gar nichts, an eurer
Ruhe, oder habt ihr Angst vor einem Shitstorm? Einer Flut von ja aber
die Palästinenserinnen. Könnt ihr ein Leid gegen das andere ausspielen,
eines totschweigen, die Freiheit, Gleichheit aller Frauen auf der Welt,
die grosse Schwesterngemeinschaft, vereint im Kampf gegen Sexismus,
Kapitalismus, gegen den Krieg, gegen Frauen, den Femizid, der hier
dutzendfach verübt wurde, und ein Land zu demütigen, um Juden weltweit
zu erschüttern, ihnen das Gefühl der Bodenlosigkeit zu geben, sie zu
zerstören wie ihre Töchter und Schwestern und Mütter. Nicht ernst zu
nehmen ist jede feministische Bewegung, die schweigt, die abwägt,
relativiert, weil es sich um was für eine Art Frauen handelt? Solche mit
Brüsten, einer Sehnsucht, einem Herzen, einem Gesicht, mit Hoffnungen,
die ermordet wurden, und verstümmelt und gebrochen. Und nun kümmern wir
uns wieder um den Gender-Pay-Gap, um nur Ja heisst Ja, um all diese
wichtigen Sachen, und vergessen wir die Schwestern in den Kellern und
Bunkern in der Dunkelheit.
Sibylle Berg ist deutsch-schweizerische Schriftstellerin und Dramatikerin. Sie lebt in Zürich.
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