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Bahamas / Paulette Gensler / Max Stirner


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Die Re­dak­ti­on do­ku­men­tiert im Fol­gen­den einen be­reits in stark ge­kürz­ter Ver­si­on in der Zeit­schrift Ver­sor­ge­rin (Juni 2017) er­schie­ne­nen Text von Pau­let­te Gens­ler, dem wir größt­mög­li­che Ver­brei­tung wün­schen.
Stirner, Mittelklasse und existentielle „Ideologiekritik“
In heu­ti­gen ideo­lo­gie­kri­ti­schen Tex­ten spielt Max Stir­ner so gut wie keine Rolle. Dies er­scheint wie eine Um­keh­rung sei­ner im­men­sen Be­deu­tung in der Deut­schen Ideo­lo­gie, deren Re­zep­ti­on selbst keine be­son­ders rühm­li­che dar­stellt, wobei man sich gern damit recht­fer­tigt, dass Marx und En­gels diese ja schließ­lich selbst den Mäu­sen zum Fraß über­las­sen haben. So heißt es noch in einer zu­sam­men­ge­schus­ter­ten Samm­lung der Marx­schen Früh­schrif­ten des Stutt­gar­ter Al­fred Krö­ner Ver­lags im Jahre 1953, dass man auf die Her­aus­ga­be gro­ßer Teile der Deut­schen Ideo­lo­gie ver­zich­tet habe, da diese Teile so gut wie aus­schließ­lich einer mehr bis­sig-ar­tis­ti­schen als pro­duk­ti­ven Po­le­mik ge­wid­met sind. (1)
In der Ein­lei­tung er­fährt man dann, wel­che gro­ßen Ab­schnit­te wohl ge­meint sind aus der Deut­schen Ideo­lo­gie, deren ers­ter Teil eine po­si­ti­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit Feu­er­bach und eine in ihrer Lang­at­mig­keit und akro­ba­ti­schen Klopf­fech­te­rei un­er­quick­li­che Kri­tik des Bu­ches von Max Stir­ner Der Ein­zi­ge und sein Ei­gen­tum unter dem Titel Sankt Max ent­hält. (2) Der zwei­te Teil ge­bührt den Ver­kün­dern des wah­ren So­zia­lis­mus, aber po­si­tiv wich­tig ist nur der erste Teil über Feu­er­bach. Dies scheint trotz Ador­nos Schrift Jar­gon der Ei­gent­lich­keit all­ge­mein recht an­er­kannt zu sein. Doch selbst der flei­ßigs­te der heu­ti­gen Stir­ner-Apo­lo­ge­ten, Bernd Laska, er­kennt im Ge­gen­satz zu den meis­ten An­ti­deut­schen im Un­ter­ti­tel Zur deut­schen Ideo­lo­gie des Wer­kes Ador­nos we­nigs­tens die An­deu­tung, dass die ak­tu­el­le Kon­fron­ta­ti­on Ador­no/Hei­deg­ger eine Ent­spre­chung in der eins­ti­gen Marx/Stir­ner habe. (3) Gleich­zei­tig weiß er aber zu ver­mel­den, dass weder Ador­no noch Hork­hei­mer noch ir­gend­ein an­de­rer Autor, der dem In­sti­tut an­ge­hör­te oder na­he­stand, je­mals Stir­ner the­ma­ti­siert (4) hät­ten. Dabei hatte sich schon Hans Mayer in sei­nem Bei­trag für den 1936 in Paris er­schie­nen Sam­mel­band der ge­mein­sa­men Stu­di­en über Au­to­ri­tät und Fa­mi­lie mit Stir­ner aus­ein­an­der­ge­setzt. (5) Ob­wohl Stir­ner hier vor allem als An­ar­chist be­trach­tet wird und wahr­lich nicht den Haupt­teil des Ar­ti­kels ab­be­kommt, sind sämt­li­che Kern­kri­tik­punk­te in ihren Grund­zü­gen aus­for­mu­liert, da der An­ar­chis­mus selbst in sei­ner Zwei­fron­ten­stel­lung: ein­mal gegen das Bür­ger­tum und den Staats­ap­pa­rat, zum an­de­ren gegen den Mar­xis­mus und die Ziele und Me­tho­den des Klas­sen­kamp­fes als ty­pi­sche Ide­en­la­ge von Mit­tel­schich­ten ein­ge­ord­net wird. (6) Stir­ner fir­miert dann vor allem als Stif­ter des an­ar­chis­ti­schen In­di­vi­dua­lis­mus.
Ein kur­zer Umweg über die Ge­gen­wart: Phil­ipp Len­hard schreibt in einem sei­ner von der In­ten­ti­on löb­li­chen Ar­ti­kel bei­spiels­wei­se über Marx, der Stir­ner in sei­ner Schrift Deut­sche Ideo­lo­gie bei wei­tem den größ­ten Raum ein­räum­te, ohne ihn wirk­lich tref­fen zu kön­nen (7) – Warum bzw. in­wie­weit er­wähnt er lei­der nicht. In der Ein­lei­tung zum Sam­mel­band Ge­gen­auf­klä­rung, in der sie Stir­ner völ­lig rich­tig als einen der frühs­ten und wich­tigs­ten Ver­tre­ter deut­scher Ideo­lo­gie (8) be­nen­nen, schreibt Len­hard – dies­mal mit Alex Gru­ber: In Stir­ners kon­se­quen­tem No­mi­na­lis­mus kommt die Re­vol­te des Bür­gers gegen die Herr­schaft des Abs­trak­ten zum Aus­druck. (9) Und in eben die­sem Satz, ob­wohl an die­sem fast alles rich­tig ist, tref­fen sie im Ge­gen­satz zu Marx und En­gels Stir­ner ge­ra­de nicht bzw. noch viel we­ni­ger. Len­hard und Gru­ber gehen hier­bei ge­wis­sen Stir­ner-Kri­ti­kern, wie Moses Hess, auf den Leim, die ihn für einen bür­ger­li­chen Ideo­lo­gen hal­ten.
We­ni­ge Jahre spä­ter ließ man im sel­ben Frei­bur­ger Ver­lag Jörg Fin­ken­ber­ger gegen einen Autor aus der le­ni­nis­ti­schen (?) Tra­di­ti­on [pö­beln, der] sich ver­an­lasst fühlt, Stir­ner zu einem Vor­läu­fer Hit­lers zu ma­chen. (10) Ge­meint war der drei Jahre zuvor ver­stor­be­ne Hans G Helms. Die­ser wurde 1932 in Meck­len­burg ge­bo­ren und über­leb­te den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus unter an­de­rem in Ber­lin mit ge­fälsch­ten Pa­pie­ren. Nach ’45 weil­te er mit einem Nan­sen-Pass an ver­schie­de­nen Orten au­ßer­halb Deutsch­lands. In den 1960ern war Helms nach ei­ge­ner Aus­sa­ge so eine Art Pri­vat­schü­ler von Ador­no und Hork­hei­mer und wurde von Ador­no ein­ge­la­den, ein ein­wö­chi­ges Pri­vat­se­mi­nar über Max Stir­ner ab­zu­hal­ten; seine Hörer waren u.a. Jür­gen Ha­ber­mas, Max Hork­hei­mer, Ger­hard Schwep­pen­häu­ser, Rolf Tie­de­mann und Gre­tel Ador­no. Dar­aus ent­stand Die Ideo­lo­gie der an­ony­men Ge­sell­schaft. Max Stir­ners Ein­zi­ger und der Fort­schritt des de­mo­kra­ti­schen Selbst­be­wusst­seins vom Vor­märz bis zur Bun­des­re­pu­blik, (11) in der er ver­such­te, Marx’ und En­gels’ Deut­sche Ideo­lo­gie/Sankt Max, Kra­cau­ers An­ge­stell­ten­stu­die sowie die na­he­zu zeit­gleich zu sei­ner Schrift ent­stan­de­ne, aber zwei Jahre frü­her be­en­de­te und ver­öf­fent­li­che Jar­gon­kri­tik Ador­nos zu­sam­men­zu­den­ken. Dabei ver­fass­te er nach Marx und En­gels zum zwei­ten Mal eine Kri­tik von Der Ein­zi­ge und sein Ei­gen­tum, die aus­führ­li­cher war als das kri­ti­sier­te Werk selbst.
Hätte der mi­li­tan­te Ide­en­ge­schicht­ler Fin­ken­ber­ger von dem Buch ein wenig mehr als den Klap­pen­text ge­le­sen, wüss­te er, dass der Stir­ner-Hit­ler-Be­zug nur sehr be­dingt oder eher ver­mit­telt vor­liegt. Helms er­kennt zwar ge­wis­se [!] Ge­mein­sam­kei­ten in den Ge­schichts­vor­stel­lun­gen Stir­ners und Hit­lers (S. 125), aber nicht des­we­gen ist die Ge­schich­te des Stir­nerianis­mus [also die Re­zep­ti­on Stir­ners; P.G.] zu­gleich eine Ge­schich­te des Fa­schis­mus, (S. 4; m. Hrvh.) son­dern er be­tont, dass eben­die­ser Stir­ne­ria­nis­mus und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus Va­ria­ti­ons­for­men des­sel­ben fa­schis­ti­schen Un­geists sind. (S. 5) Bei Franz Neu­mann fun­giert Max Stir­ner, der An­ar­chist zu­sam­men mit Düh­ring und Ahl­ward noch als wich­ti­ger Teil einer Flut von an­ti­se­mi­ti­schen Schrift­stel­lern (12), wo­hin­ge­gen Helms ganz de­zi­diert, wenn auch nur in einer Fuß­no­te ver­merkt: Ein An­ti­se­mit war Stir­ner nicht. (S. 297 u.) Stir­ners Werk hatte nach Helms durch­aus kon­ti­nu­ier­li­che Wir­kung, sie war mit­tel­bar, des­we­gen nicht we­ni­ger in­ten­siv. (S. 314) Jene au­ßer­or­dent­lich mit­tel­ba­re Wir­kung habe sich vor allem in päd­ago­gi­schen Jour­na­len sowie im Jour­na­lis­mus, Film und Kunst (S. 407) ent­fal­tet. Schließ­lich kon­kre­ti­siert er gegen Ende des Wer­kes die Ideo­lo­gie Stir­ners sei vor allem zu ver­ste­hen als Vor­be­rei­tung auf fa­schis­ti­sche Pra­xis. (S. 478) Es ist weder Zu­fall noch Nach­läs­sig­keit, dass vor dem Ak­ku­sa­tiv­ob­jekt weder ein be­stimm­ter noch ein un­be­stimm­ter Ar­ti­kel steht. Die damit an­ge­deu­te­te Fun­gi­bi­li­tät be­grün­det sich vor allem da­durch, dass im Ein­zi­gen eben­so wie in Mein Kampf die Fas­sa­de der Kern ist. Einen ei­gent­li­chen Kern gibt es nicht. (S. 197) Aber noch ein­mal auf An­fang: An­lass der Ar­beit war die ideo­lo­gi­sche Lage der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­lands (S. 1) oder in Ador­nos Wor­ten das Nach­le­ben des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus in der De­mo­kra­tie. Wei­ter heißt es: Der Fa­schis­mus ist das Pro­dukt des Mit­tel­stan­des. Seine Ideo­lo­gie stellt das Er­satz­klas­sen­be­wusst­sein der Mit­tel­klas­se dar, der Klas­se der Ver­wal­ter und Ver­tei­ler, der üb­ri­gen dienst­leis­ten­den Be­ru­fe, der Schein­pro­du­zen­ten und Pro­du­zen­ten des ideo­lo­gi­schen Scheins. (S. 1)
Der Einzige in seinen eigenen Worten
Stir­ner stell­te das Goe­the-Zi­tat Ich hab’ Mein Sach’ auf Nichts ge­stellt! (13) sei­nem Werk als Motto voran, um sich unter an­de­ren der guten Sache, jener Got­tes, der Sache der Mensch­heit, der Wahr­heit, der Frei­heit, der Hu­ma­ni­tät, der Ge­rech­tig­keit zu ent­sa­gen fer­ner [auch der] Sache Mei­nes Vol­kes, Mei­nes Fürs­ten, Mei­nes Va­ter­lan­des; end­lich gar [der] Sache des Geis­tes. Er be­klagt sich nun: Nur Meine Sache soll nie­mals Meine Sache sein. Aber Stir­ner fin­det ein Vor­bild, denn der
Sul­tan hat seine Sache auf Nichts, als auf sich ge­stellt: […] Ich Mei­nes­teils [will] lie­ber sel­ber der Ego­ist sein. Gott und die Mensch­heit haben ihre Sache auf Nichts ge­stellt, auf nichts als auf Sich. Stel­le Ich denn meine Sache gleich­falls auf Mich, der Ich so gut wie Gott das Nichts von allem an­de­ren, der Ich mein alles, der Ich der Ein­zi­ge bin. […] Ich bin nicht Nichts im Sinne der Leer­heit, son­dern das schöp­fe­ri­sche Nichts, das Nichts, aus wel­chem Ich selbst als Schöp­fer alles schaf­fe. Fort denn mit jeder Sache, die nicht ganz und gar Meine Sache ist! […] Meine Sache ist […] al­lein das Mei­ni­ge, und sie ist keine all­ge­mei­ne, son­dern ist – ein­zig, wie Ich ein­zig bin. Mir geht nichts über Mich! (14)
In die­sem Duk­tus und in der­sel­ben Ei­gen­lo­gik geht es im ge­sam­ten Ein­zi­gen wei­ter, wes­halb man fast zwangs­läu­fig zu län­ge­ren Zi­ta­ten zu­rück­grei­fen muss, denn es ließe sich in kei­ner Pa­ra­phra­se nach­bil­den. Die Qual der Lek­tü­re mag diese Un­mög­lich­keit er­setz­ten. Da aus jeder Zeile der Ein­lei­tung schon die Im­mu­ni­tät gegen Ar­gu­men­te spricht, wel­che für die Deut­sche Ideo­lo­gie cha­rak­te­ris­tisch wer­den soll­te, ver­fass­te Marx seine Kri­tik über weite Stre­cken als Sprach­kri­tik, in der er sich über den Hei­li­gen Max oder San­cho Pansa be­lus­tigt. Wenn also Ador­no in sei­ner Notiz zum Jar­gon der Ei­gent­lich­keit schreibt, dass die zeit­ge­mä­ße deut­sche Ideo­lo­gie sich vor faß­ba­ren Leh­ren hüte, und in die Spra­che ge­rutscht sei, (15) wäre dem zu ent­geg­nen, dass jenes schon für die äl­te­re galt. Auch Stir­ners Schrift be­zieht ihre Wir­kung maß­geb­lich aus der schlech­ten Sprach­ge­stalt sowie aus der Un­wahr­heit des mit ihr ge­setz­ten Ge­halts, der im­pli­zi­ten Phi­lo­so­phie, (16) wes­halb Ador­no in der münd­li­chen Be­spre­chung des Helm­schen Wer­kes auch an­merk­te, Stir­ner habe den Hasen aus dem Sack ge­las­sen. (S. 200) (17)
Als Jörg Fin­ken­ber­ger noch in an­ar­chis­ti­schen Zeit­schrif­ten ver­öf­fent­lich­te, schrieb er ohne Hin­weis vor allem von Henri Arvon (18) Fol­gen­des ab: Marx ver­mei­det an den meis­ten Punk­ten die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem lo­gi­schen Haupt­punkt, den Stir­ner auf­ge­wor­fen hatte. (19) Die­ser be­ste­he laut Fin­ken­ber­ger in der Frage, ob der Mensch, die Mensch­heit als Abs­trak­tum, als Gat­tung und als Ideal, nicht eben­so­gut eine re­li­giö­se Vor­stel­lung [sei]? oder in der Ant­wort, dass die Men­schen, die dar­un­ter ver­stan­den wer­den sol­len, not­wen­dig ein­zel­ne, not­wen­dig leib­li­che, not­wen­dig auf Be­grif­fe nicht re­du­zi­b­le sind. In sei­ner ei­ge­nen Tra­di­ti­on hät­ten beide, Marx und Stir­ner, ihre ver­schie­de­nen Plät­ze, wobei Stir­ner, eben­falls Ver­fas­ser einer Syn­the­se, und zwar einer ganz und gar ne­ga­ti­ven, not­wen­di­ges Kor­rek­tiv Mar­xens sei. Bei Marx hin­ge­gen ließe sich in zahl­rei­chen Wer­ken nach­le­sen, dass die­ser Punkt bei ihm sehr wohl eine Rolle spielt, aber nicht zu hy­post­asie­ren ist.
Der Ein­zi­ge be­steht laut Helms vor allem aus einer Ne­ga­ti­on der Ge­schich­te, der ge­schicht­li­chen Zu­sam­men­hän­ge und Kau­sa­li­tä­ten, und dem au­to­ri­tär Ideo­lo­gi­schen, das die ge­sell­schaft­li­chen Kräf­te des Be­ste­hen­den eben­so ab­weh­ren und vor ihnen Schutz bie­ten soll wie sie in den Griff be­kom­men, um sie gegen an­de­re zu wen­den. (S. 70) Zu­sam­men kom­men beide Mo­men­te (ta­bu­la rasa und Tisch­lein deck dich) in der In­sis­tenz auf Em­pö­rung, wel­che Re­vo­lu­ti­ons­er­satz und Kon­ter­re­vo­lu­ti­on in einem ist. (S. 70) Der Mensch und Ich hei­ßen die bei­den Teile des Haupt­werks von Stir­ner. Das Ich (20) be­steht aus Ei­gen­heit, Eig­ner und Ein­zi­gem. Sein Werk endet mit den Wor­ten:
Man sagt von Gott: Namen nen­nen Dich nicht. Das gilt von Mir: kein Be­griff drückt Mich aus, nichts, was man als mein Wesen an­gibt, er­schöpft Mich; es sind nur Namen. Gleich­falls sagt man von Gott, er sei voll­kom­men und habe kei­nen Beruf, nach Voll­kom­men­heit zu stre­ben. Auch das gilt al­lein von Mir. Eig­ner bin Ich mei­ner Ge­walt, und Ich bin es dann, wenn Ich Mich als Ein­zi­gen weiss. Im Ein­zi­gen kehrt selbst der Eig­ner in sein schöp­fe­ri­sches Nichts zu­rück, aus wel­chem er ge­bo­ren wird. Jedes hö­he­re Wesen über Mir, sei es Gott, sei es der Mensch, schwächt das Ge­fühl mei­ner Ein­zig­keit und er­bleicht erst vor der Sonne die­ses Be­wusst­seins. Stell’ Ich auf Mich, den Ein­zi­gen, meine Sache, dann steht sie auf dem Ver­gäng­li­chen, dem sterb­li­chen Schöp­fer sei­ner, der sich selbst ver­zehrt, und Ich darf sagen: Ich hab’ mein’ Sach’ auf Nichts ge­stellt. (21)
Was mit dem Sul­tan be­gann, an des­sen Stel­le sich Stir­ner set­zen woll­te, endet nun also mit Gott, der er längst selbst sei. Helms hebt her­vor, wie sehr Stir­ner mit der gött­li­chen Na­mens­lo­sig­keit nur die ei­ge­ne An­ony­mi­tät, zu der er ver­ur­teilt ist, noch ein­mal selbst un­ter­schreibt und diese sowie sich selbst in die­sem Schritt über­höht. Im Ge­gen­satz zum dia­lek­ti­schen Ver­hält­nis von wirk­li­chem und wah­rem Men­schen, Bour­geois und Ci­toy­en, geht es Stir­ner eher darum, den einen mit dem an­de­ren tot­zu­schla­gen, (S. 95) denn er kann die Wech­sel­be­din­gung von homme und ci­toy­en nur als un­ver­mit­tel­tes Ent­we­der-Oder ar­ti­ku­lie­ren. (S. 96) Letzt­lich ver­fass­te Stir­ner eine Ideo­lo­gie des Selbst­wer­tes, den man sich be­kannt­lich auch nur selbst geben könne. Es heißt bei Stir­ner aber zu­min­dest etwas ehr­li­cher:
Wisse denn, Du hast so viel Geld als Du – Ge­walt hast; denn Du giltst so viel, als Du Dir Gel­tung ver­schaffst. Man be­zahlt nicht mit Geld, woran Man­gel ein­tre­ten kann, son­dern mit sei­nem Ver­mö­gen. (22)
Gegen die Kom­mu­nis­ten und den Wert der Ar­beits­kraft, der sich erst im Tausch rea­li­siert, führt er an: Was Du ver­magst, ist dein Ver­mö­gen! (23) Was man kann, hat man schon – je­den­falls in die­ser Ideo­lo­gie des Hu­man­ka­pi­tals. Er prä­zi­siert: was Ich zu haben ver­mag, das ist mein Ver­mö­gen. Und ver­gleicht es mit dem Ver­mö­gen des Säug­lings der Mut­ter durch Ge­schrei Milch ab­zu­pres­sen, aber ver­magst Du kei­nen für Dich ein­zu­neh­men, so magst Du eben ver­hun­gern. Wie die Ver­ein­nah­mung zu er­fol­gen habe, manch­mal taucht ein Lust be­rei­ten auf, ist des Wei­te­ren mit dem Ge­schrei des Säug­lings schon an­ge­deu­tet. Die näh­ren­de Mut­ter hin­ge­gen bleibt vor­erst im Dun­keln, um sich spä­ter als der Staat zu ent­lar­ven.
Zen­tra­les Motiv Stir­ners ist die Staats­kri­tik oder eher -feind­schaft (wohl­ge­merkt in sei­ner Vor­stel­lung als be­zahl­ter Beruf, d.h. als Ge­schäft für den Staat) – er schreibt, nach­dem meh­re­re Be­wer­bun­gen Stir­ners für Staats­diens­te (wie das Lehr­amt) auf­grund man­geln­der Qua­li­fi­ka­tio­nen ab­ge­lehnt wor­den waren:
Der Staat lässt Mich nicht zu mei­nem Werte kom­men und be­steht nur durch meine Wert­lo­sig­keit: er geht al­le­zeit dar­auf aus, von Mir Nut­zen zu zie­hen, d.h. Mich zu ex­ploi­tie­ren, aus­zu­beu­ten, zu ver­brau­chen, […]. Nur dann kann der Pau­peris­mus ge­ho­ben wer­den, wenn Ich als Ich Mich ver­wer­te, wenn Ich Mir sel­ber Wert gebe, und mei­nen Preis sel­ber mache. Ich muss Mich em­pö­ren, um em­por­zu­kom­men. (24)
Staat und Ge­sell­schaft sind dabei ei­ner­lei, da bei­des ir­gend­wie abs­trakt sei und dem­nach ab­zu­schaf­fen, so­fern er dem Ein­zel­nen nicht voll­ends zu Wil­len und Nut­zen ist. Wie dem klei­nen Kind die ab­we­sen­de Mut­ter zur bösen Mut­ter wird, er­geht es Stir­ner mit dem Staat. Er über­setz­te zwar Adam Smiths Wealth of Na­ti­ons, was je­doch keine große Wir­kung auf ihn ge­habt zu haben schien, außer dass er aus sehr se­lek­ti­ver Re­zep­ti­on sei­nen Vul­gä­re­go­is­mus und -staats­hass ent­wi­ckelt zu haben scheint. Da Stir­ner selbst aber vom Ich immer wie­der ins Wir rutscht, muss für Letz­te­res, das sich ge­mein­sam eben stär­ker und somit er­folgs­ver­spre­chen­der em­pö­ren kann, eine Form ge­fun­den wer­den: Ich ver­nich­te [Staat und Ge­sell­schaft] und bilde an ihrer Stel­le den Ver­ein von Ego­is­ten. (25) Oder: Die Auf­lö­sung der Ge­sell­schaft aber ist der Ver­kehr oder Ver­ein. (26) Die­ser Ver­ein ist dabei kei­nes­wegs skiz­ziert als eine As­so­zia­ti­on, worin die freie Ent­wick­lung eines jeden die Be­din­gung für die freie Ent­wick­lung aller ist (27), son­dern:
Der Un­frei­heit und Un­frei­wil­lig­keit wird er gleich­wohl noch genug ent­hal­ten. Denn sein Zweck ist eben nicht – die Frei­heit, die er im Ge­gen­teil der Ei­gen­heit op­fert, aber auch nur der Ei­gen­heit. (28)
Sein Kampf gegen das Hei­li­ge ist ein hei­li­ger Krieg gegen jeg­li­che Kul­tur­leis­tun­gen, die in der Regel Trieb­be­schrän­kun­gen oder zu­min­dest -auf­schü­be er­for­dern. Eher als den Ego­is­mus mei­nen die Be­grif­fe der Ei­gen­heit und Em­pö­rung des­halb die Ent­hem­mung und Er­mäch­ti­gung zum Raub im Namen des Rechts des Stär­ke­ren:
Zu wel­chem Ei­gen­tum bin Ich be­rech­tigt? Zu jedem, zu wel­chem Ich Mich – er­mäch­ti­ge. Das Ei­gen­tums-Recht gebe Ich Mir, indem Ich Mir Ei­gen­tum nehme, oder Mir die Macht des Ei­gen­tü­mers, die Voll­macht, die Er­mäch­ti­gung gebe. Wor­über man Mir die Ge­walt nicht zu ent­reis­sen ver­mag, das bleibt mein Ei­gen­tum; wohl­an so ent­schei­de die Ge­walt über das Ei­gen­tum, und Ich will alles von mei­ner Ge­walt er­war­ten! (29)
Im End­ef­fekt liest er Hob­bes rück­wärts und schreibt mit. Statt der Angst des Hob­bes ist das trei­ben­de Motiv nun der Ber­ser­ker­mut Stir­ners, der den Na­tur­zu­stand mit po­si­ti­ven Vor­zei­chen ver­sieht – der Kampf aller gegen alle, aber im Ver­ein mit Gleich­ge­sinn­ten, ist das Ziel. Wie ein ty­pi­scher Par­ve­nü-Cha­rak­ter Balz­acs ver­kün­det er gegen Kant: Wir haben zu­ein­an­der nur eine Be­zie­hung, die der Brauch­bar­keit, der Nutz­bar­keit, des Nut­zens. (30)
Die berühmtesten Schüler und ihre Klasse
Auch Helms kommt zu dem Schluss, dass Marx und En­gels Stir­ner ver­fehlt hät­ten. Sie hät­ten eine ge­wis­se Blind­heit gegen die Ge­fähr­lich­keit Stir­ners ge­zeigt, und aus tak­ti­schen Grün­den selbst die er­kann­ten In­hal­te un­ter­trie­ben, da sie vor allem seine Wir­kung auf die herr­schen­de Bour­geoi­sie be­fürch­te­ten. (S. 147) Im Falle Mar­xens bis hin zu Buber sei dies noch nach­voll­zieh­bar, aber bei Jün­ge­ren ist es un­ver­zeih­lich: die Macht­über­nah­me des Mit­tel­stan­des ist ein his­to­ri­sches Fak­tum. (S. 186) Die Re­vol­te des Bür­gers, von der Len­hard und Gru­ber oben schrie­ben, ist eben keine des Bür­gers im klas­si­schen Sinne. Helms hat dies vor einem hal­ben Jahr­hun­dert schon aus­führ­lich kon­kre­ti­siert: Stir­ner hat nicht die Ideo­lo­gie der Mit­tel­klas­se ge­schaf­fen: das Ent­ste­hen der Ideo­lo­gie ist eine Kon­se­quenz der ge­sell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se. Der Ein­zi­ge ist le­dig­lich ihre erste kon­se­quen­te For­mu­lie­rung. Zeit­ge­nos­sen hät­ten diese nicht er­ken­nen kön­nen, da sie ihre Wir­kung in der und auf diese Klas­se erst ent­fal­tet habe, als die Ent­wick­lung der Pro­duk­ti­ons-, Ad­mi­nis­tra­ti­ons- und Dis­tri­bu­ti­ons­ver­hält­nis­se die Mit­tel­klas­se für diese Wir­kung emp­fäng­lich ge­macht hatte. (S. 3f)
Die Kri­tik der an­ony­men Ge­sell­schaft be­steht des­halb aus zwei Strän­gen, wel­che be­stän­dig Bezug auf­ein­an­der neh­men: Zum einen aus dem Nach­voll­zug der Haupt­strö­mun­gen der Wir­kung Stir­ners bis in die Ge­gen­wart, wel­che in der Tat manch­mal das Mal des Kon­stru­ier­ten trägt. Das liegt je­doch in der Natur des Ge­gen­stan­des wie auch in dem enor­men Zeit­raum, den er zu über­bli­cken ver­sucht. Die Kon­struk­ti­on wäre aber kon­kret aus­zu­wei­sen und vor allem als fal­sche zu be­le­gen. Helms nimmt in­halt­lich Stir­ner, wie Marx, we­ni­ger ernst als seine Adep­ten, gleich­zei­tig je­doch seine Re­zep­ti­on, also seine Adep­ten, äu­ßerst ernst. Die ge­sam­te von Helms auf­ge­zeig­te Re­zep­ti­on lässt sich hier nur an­deu­ten. Laut Fin­ken­ber­ger sei Stir­ner von Mar­xis­ten nach dem 20. Jahr­hun­dert mit Demut zu be­geg­nen, denn Stir­ners Schü­ler haben kaum eine sol­che Bi­lanz auf­zu­wei­sen wie etwa Sta­lin und Mao. (31) Wenn er mit Schü­ler eu­pho­ri­sche Leser meint, muss er nicht nur Mus­so­li­ni und den Hit­ler-Men­tor Diet­rich Eck­art son­dern auch Mar­tin Hei­deg­ger, Ge­or­ges Sorel, Sil­vio Ge­sell, Carl Schmitt und Ri­chard Wag­ner sowie Ru­dolf Stei­ner, Max Adler, Dos­to­je­w­ski, B. Tra­ven, We­de­kind und Shaw, Ernst Jün­ger sowie Speng­ler oder Edu­ard von Hart­mann ihren Rang ab­spre­chen. (32) Hans G Helms scheint ge­ahnt zu haben, dass seine Ana­ly­se nicht ge­ra­de mit Wohl­wol­len auf­ge­nom­men wer­den wird, und be­geg­ne­te dem schon im Vor­aus mit einer ge­hö­ri­gen Red­lich­keit. Neun­zig Sei­ten Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis, in dem die un­ter­such­ten Schrif­ten, nach Ent­ste­hungs- und Ver­öf­fent­li­chungs­zeit­punkt ge­ord­net, noch ein­mal extra in Bezug zu­ein­an­der ge­stellt wur­den, und 1358 Fuß­no­ten (33) ste­hen zur Über­prü­fung für Kri­ti­ker be­reit, die sich bis­her je­doch alle davor ge­drückt haben. Gegen ein ge­ne­rell als Ein­wand be­lieb­tes Ar­gu­ment, die­ser oder jener hätte in dem Falle Stir­ner gar nicht ver­stan­den und stün­de des­halb nicht in sei­ner Tra­di­ti­on, wen­det Helms, der be­strebt war, ge­wis­se Strän­ge der Re­zep­ti­on wirk­lich bis in die al­ler­letz­te und la­ten­tes­te Ecke nach­zu­voll­zie­hen, am Bei­spie­le Diet­rich Eckarts ein, dass die­ser in sei­ner pro­fun­den Halb­bil­dung, den Ein­zi­gen aufs Schöns­te miss­ver­stan­den hatte, um den­noch zum sel­ben Re­sul­tat: der prin­zi­pi­ell ge­sell­schafts­feind­li­chen Hal­tung zu ge­lan­gen. (S. 485)
Die Fleiß­ar­beit wäre schon be­mer­kens­wert genug, wie­wohl die Red­lich­keit eine ge­wis­se Red­un­danz mit sich bringt. Rück­ge­bun­den wird je­doch immer an den zwei­ten Strang der Ar­beit, in wel­chem die zur Re­zep­ti­on Stir­ners par­al­le­le Ent­wick­lung der Pro­duk­tiv­kräf­te und Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se, dabei be­son­ders die Ent­wick­lung des Mit­tel­stan­des und Klein­bür­ger­tums als Klas­se nach­voll­zo­gen wer­den. Es geht somit um die Frage, wie jenes Wir, (34) das bei Stir­ner allem ra­di­ka­len In­di­vi­dua­lis­mus zum Trotz auch schon immer prä­sent ist, in der spä­te­ren Folge kom­plett frei­ge­setzt wer­den konn­te; wes­halb also Hei­deg­ger 1935 mit wi­der­li­chem Recht apo­lo­ge­tisch ver­kün­den konn­te: Jetzt ist die Wir­zeit statt der Ich­zeit. (35) So schreibt Helms auch über Marx und En­gels: Wäre es ihnen ge­ge­ben ge­we­sen, die Wege zu er­for­schen, die der Ein­zi­ge seit­dem ge­gan­gen ist, der Spott wäre ihnen ver­gan­gen. (S. 212)
Wenn zwei sich streiten, …
… freut sich der Drit­te und vor allem kommt es zu Ver­wir­run­gen. Über Klas­sen zu reden, ist wahr­lich nicht in Mode in ideo­lo­gie­kri­ti­schen Krei­sen – teils oder sogar meist aus guten Grün­den. Helms hin­ge­gen ver­sucht sich an einer Ein­ord­nung der Mit­tel­klas­se auf­grund ihrer Stel­lung im Pro­duk­ti­ons­pro­zess und im Klas­sen­kampf, um von zwei an­de­ren Be­griff weg­zu­kom­men, wel­che sehr viel ge­läu­fi­ger sind: Mit­tel­stand ver­weist auf einen an­geb­lich vor­ka­pi­ta­lis­ti­schen, stän­di­schen Cha­rak­ter; Mit­tel­schicht hin­ge­gen ist eher die sta­tis­ti­sche Ein­ord­nung in Ein­kom­mens­klas­sen. Die an­gel­säch­si­sche Un­ter­tei­lung in blue col­lar und white col­lar ist auch nur eine sehr äu­ße­re Be­trach­tung, die bei­spiels­wei­se im ers­ten Fall In­dus­trie­ar­bei­ter und Hand­wer­ker ziem­lich kon­traf­ak­tisch in eine Ka­te­go­rie packt, und nur die Tren­nung von geis­ti­ger und kör­per­li­cher Ar­beit mar­kiert. Wie der Be­griff des Bür­gers im Sinne des Bour­geois oft über­stra­pa­ziert wird, ver­hält es sich auch mit dem des Pro­le­ta­ri­ers, Lohn­ar­bei­ters – und somit na­tür­lich auch mit dem Klein­bür­ger bzw. Mit­tel­ständ­ler. Im Marx­schen Ma­ni­fest heißt es noch: Die bis­he­ri­gen klei­nen Mit­tel­stän­de, die klei­nen In­dus­tri­el­len, Kauf­leu­te und Ren­tiers, die Hand­wer­ker und Bau­ern, alle diese Klas­sen fal­len ins Pro­le­ta­ri­at hinab. (36)
Klein­bür­ger sind in der äl­te­ren Theo­rie vor allem die­je­ni­gen Leute, die mit den Pro­le­ta­ri­ern ge­mein haben, ihre Ar­beits­kraft ver­kau­fen zu müs­sen, mit dem Bour­geois hin­ge­gen auf einem sehr ge­rin­gen Ni­veau den Be­sitz an Pro­duk­ti­ons­mit­teln. Die Klein­bau­ern und Hand­wer­ker sind die nur for­mell sub­su­mier­ten Be­ru­fe. Marx nennt die­sen Klein­bür­ger le­ben­di­gen Wi­der­spruch sowie zu­sam­men­ge­setzt aus Ei­ner­seits und An­de­rer­seits, ihm bleibt nur noch ein trei­ben­des Motiv, die Ei­tel­keit des Sub­jekts. (37) Er bil­det eine Über­gangs­klas­se, worin die In­ter­es­sen zwei­er Klas­sen sich zu­gleich ab­stump­fen [und] dünkt sich über den Klas­sen­ge­gen­satz über­haupt er­ha­ben. (38) Dabei haben die Ver­fas­ser des Ma­ni­fest die Be­deu­tung des Klein­bür­ger­tums schon er­staun­lich scharf er­fasst: In Deutsch­land bil­det das vom 16. Jahr­hun­dert her über­lie­fer­te und seit der Zeit in ver­schie­de­ner Form hier immer neu wie­der auf­tau­chen­de Klein­bür­ger­tum die ei­gent­li­che Grund­la­ge der be­ste­hen­den Zu­stän­de. Helms setz­te (sich) die Auf­ga­be, die heu­ti­ge Form die­ses immer wie­der neu auf­tau­chen­den Klein­bür­ger­tums, näm­lich nach wie vor die Grund­la­ge der be­ste­hen­den Zu­stän­de, auf der Höhe der Zeit zu be­stim­men.
Klein­bür­ger ist ein sehr neuer Be­griff wie der des An­ge­stell­ten auch – vor allem war die­ser letz­te Be­griff in sei­nen An­fän­gen nicht vom Be­am­ten ge­schie­den. Bei Marx hin­ge­gen gel­ten man­che An­ge­stell­ten­grup­pen noch als kom­mer­zi­el­le Ar­bei­ter etc. Auf diese An­ge­stell­ten rich­te­te Kra­cau­er 1930 erst­mals einen kon­zen­trier­ten Blick und be­trach­tet dabei vor allem Pri­vat­an­ge­stell­te in Han­del, bei Ban­ken und im Ver­kehr, ver­merkt je­doch fer­ner auch ein star­kes An­stei­gen der In­dus­trie­an­ge­stell­ten sowie jener in Be­hör­den, Or­ga­ni­sa­tio­nen usw. (39) Er ist der Erste, der in die­ser Zu­nah­me einen dia­lek­ti­schen Um­schlag der Quan­ti­tät in die Qua­li­tät re­gis­triert – oder in­halt­lich aus­ge­drückt: die Qua­li­tät ist in die Quan­ti­tät um­ge­schla­gen, was sich vor allem in der Ra­tio­na­li­sie­rungs­pe­ri­ode 1925 bis 1929 rea­li­siert habe. (40) Aus den Marx­schen in­dus­tri­el­len Of­fi­zie­ren und Un­ter­of­fi­zie­ren sei nun ein statt­li­ches Heer ge­wor­den. (41) Kra­cau­er schreibt wei­ter: Die Pro­le­ta­ri­sie­rung der An­ge­stell­ten ist nicht zu be­strei­ten. Und schränkt das ka­te­go­ri­sche Ur­teil im fol­gen­den Satz so­fort ein: Je­den­falls [!] gel­ten für brei­te, im An­ge­stell­ten­ver­hält­nis be­find­li­che Schich­ten ähn­li­che so­zia­le Be­din­gun­gen wie für das ei­gent­li­che Pro­le­ta­ri­at. [Diese] nö­ti­gen sie dazu, sich min­des­tens in öko­no­mi­scher Hin­sicht als Ar­beit­neh­mer zu füh­len [!]. (42) Die Schwam­mig­keit die­ser Aus­sa­ge, wel­che sich mehr auf sub­jek­ti­ves Emp­fin­den als ob­jek­tiv Be­stim­mun­gen be­zieht, ist selbst Aus­druck der Wahr­heit, näm­lich der Pseu­do­mor­pho­se der Klas­sen­ge­sell­schaft an die klas­sen­lo­se. (43) Öko­no­misch seien sie schon Pro­le­ta­ri­er, ideo­lo­gisch noch Bour­geois – genau aus die­ser Schi­zo­phre­nie ent­springt der drit­te Weg des mo­der­nen Mit­tel­stan­des.
Wich­tig in An­be­tracht der Marx­schen De­tail­dif­fe­ren­zie­run­gen, vor allem im zwei­ten und drit­ten Band des Ka­pi­tals, ist die Pro­gno­se, dass die Gren­ze zwi­schen dem Be­am­ten und dem Pri­vat­an­ge­stell­ten immer schwe­rer fest­zu­le­gen ist, da sich beide mas­siv an­nä­hern. (44) Bei Marx ist das Klein­bür­ger­tum noch pri­mär durch Rest­selbst­stän­dig­keit ge­prägt. Eben auf diese Form des Klein­bür­ger­tums be­zieht sich Franz Neu­mann, wenn er schreibt: Die Mit­tel­schich­ten haben auf­ge­hört als eine Klas­se zu exis­tie­ren, aus der sich eine de­mo­kra­ti­sche Ge­sell­schaft wie­der auf­bau­en lässt. (45) Das de­mo­kra­ti­sche, pro­gres­si­ve Po­ten­zi­al die­ser Klas­se sah also auch Neu­mann in dem letz­ten Fun­ken Ei­gen­stän­dig­keit, wobei bei­des un­rett­bar ver­lo­ren wäre. Der Fokus sei des­halb ins­be­son­de­re auf die nicht­aka­de­mi­schen Be­am­ten […] des mitt­le­ren und ge­ho­be­nen Diens­tes zu rich­ten, denn viele Na­zi­füh­rer stam­men aus die­ser Schicht. Die große Masse der Be­am­ten ist kaum von ge­wöhn­li­chen An­ge­stell­ten zu un­ter­schei­den. Ein Drit­tel Jahr­hun­dert spä­ter geht Helms nun davon aus, dass die Pro­le­ta­ri­sie­rung der An­ge­stell­ten/Mit­tel­klas­se in Bezug auf die Stel­lung im Pro­duk­ti­ons­pro­zess und im Klas­sen­kampf nicht statt­ge­fun­den habe. Im Zuge der An­ony­mi­sie­rung der Ei­gen­tums­ver­hält­nis­se und Ver­fü­gungs­ge­wal­ten (S. 1) und der Ar­beits­tei­lung von Ka­pi­tal­be­sitz und Ka­pi­tal­kon­trol­le (S. 2) über­neh­men sie viel­mehr die Kon­trol­le: Heute ist die Mit­tel­klas­se in Stell­ver­tre­tung herr­schen­de Klas­se. (S. 2) Sie sind Cha­rak­ter­mas­ken, die weder Ar­beit (im in­dus­tri­el­len, oder gar pro­duk­ti­ven Sinne) noch Ka­pi­tal ver­kör­pern, son­dern das ge­sam­te Feld der Dienst­leis­tun­gen. Dabei kom­men ihnen heut­zu­ta­ge vor allem die Auf­ga­ben des Ver­kehrs und der Kom­mu­ni­ka­ti­on (S. 54) und ins­be­son­de­re die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Pro­le­ta­ri­at und Ei­gen­tü­mern (S. 54) zu. Ihre ge­sam­te Tä­tig­keit trägt somit den Cha­rak­ter von Klas­sen­kitt. Und damit sind sie es, die die heu­ti­ge klas­sen­lo­se Ge­sell­schaft in ihren Krei­sen vor­weg­ge­nom­men haben. (S. 56)
Helms ist kei­nes­wegs Klas­sen­fe­ti­schist. Dass er selbst es mit sei­ner Be­griffs­be­stim­mung nicht ganz ernst­nimmt, also gegen seine ei­ge­nen ein­lei­ten­den Un­ter­schei­dun­gen be­stän­dig von Mit­tel­stand schreibt, deu­tet dies schon an. Kon­trär zu allen schein­ba­ren Macht­po­si­ti­on steht ihm immer die Macht­lo­sig­keit der Ein­zel­nen. Mit Blick auf die Ei­gen­tü­mer galt schon, dass Ei­gen­tum an Pro­duk­ti­ons­mit­teln nicht still­schwei­gend mehr gleich­ge­setzt wer­den kann mit Pro­duk­ti­ons­kon­trol­le und Ver­fü­gungs­ge­walt über Pro­duk­ti­ons­mit­tel und Pro­duk­tiv­kräf­te. (S. 66) Aber auch die An­ge­stell­ten sind kei­nes­wegs die neuen Her­ren. Viel­mehr herr­schen ihre Kon­troll-, Ver­mitt­lungs-, und Ver­fü­gungs-, also kom­mu­ni­ka­ti­ven Funk­tio­nen, die aus­ge­übt wer­den, ohne dass die Funk­tio­nä­re der Ver­fü­gungs­ge­walt real inne wären. [Diese] ge­hört den In­sti­tu­tio­nen an, nicht deren Ver­we­sern. (S. 63) Der Mit­tel­stand ver­fügt durch die rein funk­tio­nel­len In­sti­tu­tio­nen über das ad­mi­nis­tra­tiv ko­or­di­nier­te Kol­lek­tiv le­ben­di­ger Quan­ti­tä­ten, (S. 158) und genau sol­che quan­ti­ta­ti­ve Exis­tenz ist an­ony­me Exis­tenz. (S. 165) Diese sta­tis­ti­sche An­ony­mi­tät ver­deut­licht sich am kras­ses­ten im Ak­ten­zei­chen, zu dem alle de­gra­diert wer­den, letzt­lich auch der Ver­wal­ter selbst in sei­ner ei­ge­nen Per­so­nal­ak­te. Der Mit­tel­stand steht zwi­schen Ka­pi­tal und dem mög­li­chen Streik. Er hat nur seine Ideo­lo­gie. (S. 69)
Wich­ti­ger also als eine ob­jek­ti­ve Stel­lung im Klas­sen­kampf ist in Helms Be­trach­tung die An­fäl­lig­keit für Ideo­lo­gie. Diese fun­giert als pri­mä­res In­stru­ment des zum In­ter­es­sen­kampf ver­lu­der­ten Klas­sen­kampf. (S. 235) Es geht also vor allem um jene An­ge­stell­te, die ge­ra­de des­halb nie­mals strei­ken wür­den, weil dann an­de­re mer­ken könn­ten, dass ihre Ar­beit völ­lig über­flüs­sig ist und von nie­man­dem ver­misst wird. In ihrer Nai­vi­tät sind Stu­den­ten (meist ir­gend­wel­cher Geis­tes­wis­sen­schaf­ten) viel­leicht noch die Ein­zi­gen, die das immer mal wie­der igno­rie­ren. Wahr­schein­lich ahnen sie schon, dass sie es spä­ter nicht mehr kön­nen wer­den. Even­tu­ell ließe sich die Ideo­lo­gie­an­fäl­lig­keit der von Helms be­schrie­be­nen Mit­tel­ständ­ler tat­säch­lich nach ihrer Streik­fä­hig­keit und -wil­lig­keit zu­min­dest gra­du­ell un­ter­schei­den. In die­sem Sinne wäre das Trans­port­ge­wer­be, in dem Lock­füh­rer, Flug­lot­sen, und selbst Kin­der­gärt­ner – we­ni­ger als Bil­dungs­ein­rich­tung, son­dern eher in ihrer Funk­ti­on als Be­wahr­an­stalt – re­la­tiv ver­schont. (46)
In der staat­li­chen Ver­wal­tung, die sub­jek­tiv als Gän­ge­lei auch kaum ver­misst wer­den würde, oder nur von jenen, die eh am un­ters­ten Rand der Ge­sell­schaft vor sich hin­ve­ge­tie­ren, sieht es schon etwas an­ders aus. Zumal eine Tä­tig­keit di­rekt in der Elends­ver­wal­tung allzu deut­lich und täg­lich vor Augen führt, was man schein­bar für ein Glück hat, dass man auf der an­de­ren Seite vom Schreib­tisch sitzt. Am Schlimms­ten be­trof­fen sind aber jene aus dem wei­ten Be­reich der Kom­mu­ni­ka­ti­on, die am stärks­ten an ihrer ei­ge­nen, von ihnen immer wie­der selbst mit pro­du­zier­ten Ideo­lo­gie hän­gen, wie vor­mals nur der Bauer an sei­ner Schol­le. (47) Im Ge­gen­satz zu die­sem zeich­nen sie sich aber viel eher durch Frei­wil­lig­keit statt durch au­to­ri­tä­ren Ge­hor­sam aus. Dies meint neben heu­ti­gen Me­di­en­schaf­fen­den ins­be­son­de­re Be­am­te oder An­ge­stell­te der mitt­le­ren oder ge­ho­be­nen Lauf­bahn im Dienst des Staats, der öf­fent­li­chen und halb-öf­fent­li­chen In­sti­tu­tio­nen und [Tei­len] der In­dus­trie (S. 233). Be­son­ders in die­ser Grup­pe voll­zieht sich die Ver­wand­lung der Sach­ver­hal­te in Sprach­ver­hal­te (S. 223) als Pro­duk­ti­on der Ideo­lo­gie. In einer recht po­si­ti­ven Be­spre­chung des Wer­kes in der ZEIT hieß es:
Al­ler­dings schil­lert Helms’ Mit­tel­stands­be­griff etwas, [so] wer­den die Mit­tel­ständ­ler pau­schal mit den Funk­tio­nä­ren, den Ver­we­sern der Ver­fü­gungs­ge­walt gleich­ge­setzt. Den The­sen schließ­lich, daß die Mit­tel­klas­se noch nie so mäch­tig war wie heute, daß sie in Stell­ver­tre­tung der wirk­li­chen Ei­gen­tü­mer die herr­schen­de Klas­se in allen mo­der­nen In­dus­trie­staa­ten und ihr Herr­schafts­sys­tem das der an­ony­men, sta­tis­tisch kon­trol­lier­ten Ord­nung ist, könn­te man nur dann vor­be­halt­los zu­stim­men, wenn auch auch das in­dus­tri­el­le top ma­nage­ment dem Mit­tel­stand zu­schla­gen ließe. Dazu wer­den frei­lich nicht allzu viele So­zio­lo­gen be­reit sein. (48)
Wie sie zu einer Kri­tik der Ge­sell­schaft ja auch nicht be­reit oder fähig sind und wie ein Zeit­au­tor und Pro­fes­sor, des­sen Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift den Titel trägt: Mit­tel­stand, De­mo­kra­tie und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Die po­li­ti­sche Ent­wick­lung von Hand­werk und Klein­han­del in der Wei­ma­rer Re­pu­blik, der sich also selbst meint mit den So­zio­lo­gen, nicht ein­se­hen möch­te, dass er mit einem Ma­na­ger even­tu­ell mehr ge­mein hat als ihm lieb ist. Für Leute wie eben die­sen Pro­fes­sor, ein aka­de­mi­scher Grad, der heut­zu­ta­ge oft­mals nicht viel mehr als Wis­sens­ma­na­ger ist, scheint Stir­ner sym­pa­thisch zu sein, da man sich mit ihm, der gegen Pro­le­ta­ri­at und Bür­ger­tum agier­te, von jedem Stand­punkt ent­ho­ben füh­len kann.
Helms ver­sucht im Fol­gen­den, den Cha­rak­ter­ty­pus des Klein­bür­gers und Mit­tel­kläss­lers (ins­be­son­de­re in den 50er und 60er Jah­ren) zu skiz­zie­ren. Aus­ge­hend von dem Pos­tu­lat, dass für den neuen Mit­tel­stand Ver­mas­sung etwas an­de­res als für das Pro­le­ta­ri­at (S. 111) dar­stellt, sieht Helms in eben die­ser Ver­mas­sung, die sich in Ver­wal­tungs­pa­läs­te in Form der Wol­ken­krat­zer ma­ni­fes­tiert und in der Kon­kur­renz durch Bü­ro­ge­rä­te (Vgl. S. 329ff.), die die Kon­kur­renz unter den Mit­tel­ständ­lern enorm ver­schärf­te, Grund­mo­ti­ve des neuen klein­bür­ger­li­chen Cha­rak­ter­ty­pus. Die­ser hat vor allem seine pri­va­te Phi­lo­so­phie, denn mit ihr schützt er sich vor Er­fah­rung und Ver­nunft, die ihm be­wie­sen, dass seine Ohn­macht Ohn­macht ist. (S. 191ff.) Es ist fast immer eine Form der Le­bens­phi­lo­so­phie – eine Ver­tau­schung ge­sell­schaft­li­cher Fak­ten mit sub­jek­ti­ven Ge­füh­len. (S. 377) Dabei ist er über­aus fle­xi­bel und über­setzt mit Leich­tig­keit die ver­al­te­ten Vo­ka­beln in den ak­tu­el­len Jar­gon. (S. 214) Heute braucht er es gar nicht mehr selbst, son­dern hat weite Teile der Geis­tes­wis­sen­schaf­ten, die ihm diese Ar­beit mitt­ler­wei­le gerne ab­neh­men. Der Mit­tel­stand ist in der Regel halb- bis drei­vier­tel­auf­ge­klärt oder -ge­bil­det, aber diese Un­ter­schei­dung ist auch schon quan­ti­ta­tiv und lässt sich durch eine Eva­lua­ti­on der Be­rech­ti­gungs­nach­wei­se und Pseu­do­qua­li­fi­ka­tio­nen über­prü­fen oder in der Frei­zeit beim Schau­en von Wer wird Mil­lio­när?. Der schon von Stir­ner stark ge­mach­te ima­gi­nä­re Zu­sam­men­hang des Ver­mö­gens, Fra­gen zu be­ant­wor­ten mit po­ten­zi­el­lem mo­ne­tä­ren Ver­mö­gen wird red­lich be­dient. Mit Mo­no­po­ly und Spiel­geld darf man sich sogar für kurze Mo­men­te als ech­ter Ei­gen­tü­mer füh­len. Es ist eine Be­wusst­seins­struk­tur, die zwi­schen Vor­freu­de als schöns­ter Freu­de, die im Mit­tel­stand kein Zu­stand der Weih­nachts­zeit, keine Freu­de im Ad­vent, son­dern ein per­ma­nen­ter Zu­stand ist, auf der einen Seite und Mensch-är­ger-dich-nicht auf der an­de­ren schwankt.
Dabei ist sol­che re­pres­si­ve Am­bi­va­lenz den ob­jek­ti­ven Be­din­gun­gen des Klein­ei­gen­tü­mers durch­aus ad­äquat. Sein Ei­gen­tum an Kon­sum­gü­tern (S. 241) kann nie recht über­tün­chen, dass er eben kei­nes an Pro­duk­ti­ons­mit­teln be­sitzt bzw. trotz ein paar Te­le­kom­ak­ti­en kei­ner­lei Ein­fluss auf das Trei­ben die­ses La­dens aus­übt. Sein Reich ist sein Wohn­zim­mer – von Helms völ­lig rich­tig be­schrie­ben als eine Mi­schung aus groß­bür­ger­li­chem Salon und dem All­zweck­ge­mach der Ei­gen­tums­lo­sen. (S. 247ff.) In Kon­se­quenz ist das Ei­gen­heim [nur] das selbst­stän­dig ge­wor­de­ne Wohn­zim­mer (S. 267). Es ist dabei eben so wenig Grund­ei­gen­tum wie das Wohn­zim­mer Salon. Dass sich in die­sen Wohn­zim­mern nicht woh­nen lässt, be­weist das mas­si­ve Be­dürf­nis nach Ur­laub und Ta­pe­ten­wech­sel. Die Fe­ri­en vom Ich sind eher Fe­ri­en vom Über-Ich, zu dem das Wohn­zim­mer wurde, indem es mit Au­to­ri­tät aus­ge­stat­tet wurde – be­son­ders wich­tig die li­te­ra­ri­schen Klas­si­ker, wäh­rend die Bü­cher, wel­che man wirk­lich liest, im in­ti­men Schlaf­zim­mer lie­gen. Will man sich aller Lum­pen end­le­di­gen, wie es Stir­ner for­dert, steht die Frei­kör­per­kul­tur zur Ver­fü­gung. All dies ist eine in­di­vi­du­el­le, auf Klein­ei­gen­tum bau­en­de, Schein-Sou­ve­rä­ni­tät, die die re­el­le Macht­lo­sig­keit über­tüncht, wie die os­ten­ta­ti­ve Ver­ach­tung für Ma­te­ri­el­les, das man nicht hat, den Neid. Mit­re­den-Kön­nen sowie Be­scheid- und Bes­ser­wis­sen er­hielt in der Wei­ma­rer Re­pu­blik zu­neh­mend eine enor­me Be­deu­tung, als in nicht ge­kann­tem Maße Stel­len nach Par­tei­buch ver­ge­ben wur­den: Po­li­ti­sche Über­zeu­gun­gen wur­den haupt­säch­li­ches Tausch­ob­jekt mit­tel­stän­di­schen Feil­schens. (S. 433) Zu er­gän­zen wäre dies um die spä­te­re Ver­schie­bung vom Par­tei­buch hin zur Ge­sin­nung, die ir­gend­wie im ge­sam­ten Le­bens­lauf auf­schei­nen muss, also mehr Be­wei­se der Hal­tung er­for­dert als nur eine Mit­glied­schaft. Die Kri­tik an Stir­ners Ideo­lo­gie hätte aus dem Mit­tel­stand kom­men müs­sen, doch dort ist sie jauch­zend auf­ge­nom­men wor­den. (S. 229) Was sich liest wie die For­de­rung nach einem Klas­sen­be­wusst­sein im re­vo­lu­tio­nä­ren Sinne oder Stand­punkt­den­ken, ist nur die Er­kennt­nis, dass der Mit­tel­stand seine Stel­lung hätte re­flek­tie­ren müs­sen, um nicht pe­ne­trant an­ti­re­vo­lu­tio­när oder/und deut­sch­re­vo­lu­tio­när zu agie­ren, wie er es schließ­lich tat. Helms such­te die wich­ti­gen Ak­teu­re der Ver­brei­tung der Ideo­lo­gie vor allem auch in der SPD und den Ge­werk­schaf­ten mit ihrer Po­li­tik der klei­nen For­de­run­gen und win­zi­gen Lohn­er­hö­hun­gen (S.362), denn ohne Kol­la­bo­ra­ti­on die­ser bei­den Mas­sen­ra­ckets hätte die klein­bür­ger­li­che Ideo­lo­gie nie­mals eine solch im­men­se Wir­kung auf­wei­sen kön­nen.
Empörung als Gehalt(svorschuss) der Überflüssigen
Zu er­wei­tern wäre dies für die heu­ti­ge Zeit um all jene Per­so­nen und Grup­pie­run­gen, die sich der Ha­ber­ma­sia­ni­schen Zi­vil­ge­sell­schaft ver­schrie­ben haben. Dass man in so gut wie kei­ner Stel­len­aus­schrei­bung in die­sem Be­reich mehr etwas von an­ge­mes­se­ner oder gar guter Ent­loh­nung liest, so sehr dies na­tür­lich auch eine dreis­te Lüge son­der­glei­chen ist, son­dern nur noch von Selbst­ver­wirk­li­chungs- und Ge­stal­tungs­mög­lich­kei­ten und einem freund­li­chen Ar­beits­um­feld oder gleich mit Na­tu­ra­li­en wie dem täg­lich fri­schen Obst­korb ge­wor­ben wird, ist en­er­gi­scher Aus­druck die­ser durch und durch ideo­lo­gi­schen Ar­beits­welt. Ge­ra­de dort ist die la­ten­te Angst vor dem Ab­rut­schen am größ­ten, in der sich die un­ein­ge­stan­de­ne Be­fürch­tung aus­drückt, die Ver­wal­tung sei zu einem be­trächt­li­chen Teil ein Luxus von Ka­pi­tal und Herr­schaft und sach­lich un­nö­tig, ja über­flüs­sig; in all­ge­mei­nen Kri­sen­zei­ten sei sie das erste, was den als Ra­tio­na­li­sie­rung ge­tarn­ten Spar­maß­nah­men ge­op­fert werde. (S. 433)
Über­tün­chen lässt sich diese Ah­nung nur mit maß­lo­sem En­ga­ge­ment, Pu­blic Re­la­ti­ons und den War­nun­gen vor der Ka­ta­stro­phe, wel­che an­geb­lich ein­tre­ten würde, wann die­ses En­ga­ge­ment nicht mehr fi­nan­ziert wer­den würde. (49) Helms be­schrieb die ideo­lo­gi­schen Aus­sa­gen und Bot­schaf­ten der Schrift(en) Stir­ners als Hohl­for­men, die sich rasch von ihrem Her­kunfts­ort ab­ge­löst hat­ten und neue Ver­bin­dun­gen ein­ge­gan­gen waren. (S. 400) Eben diese völ­li­ge Fun­gi­bi­li­tät der In­hal­te ist das Ge­fähr­li­che die­ses sonst völ­lig ab­sur­den Schrei­ber­lings. Im neus­ten Deutsch­land (vor allem Jahr 2001ff) (50) wirkt die Ideo­lo­gie vor allem bei den Fle­xi­blen, heißt Pro­gres­si­ven oder Lin­ken, denn der haupt­säch­li­che Un­ter­schied zwi­schen Lin­ken und Rech­ten be­steht mitt­ler­wei­le vor allem darin, dass Linke krea­ti­ver darin sind, neue Pro­gram­me, heißt Jobs für sich selbst, zu schaf­fen. Die For­de­rung nach le­bens­lan­gem Ler­nen ist immer auch eine nach le­bens­lan­gem Leh­ren und nir­gend­wo dürf­te die For­de­rung nach be­din­gungs­lo­sem Grund­ein­kom­men ähn­lich groß sein wie im re­form­päd­ago­gisch, krea­tiv­wirt­schaf­ten­den Mit­tel­stand, da man hier am ehes­ten ahnt, dass man etwas Ähn­li­ches schon er­hält – näm­lich grund­lo­ses Ein­kom­men. (51)
Auch die Grü­nen Par­tei­en waren und sind vor allem eine rie­si­ge Ar­beits­be­schaf­fungs­in­itia­ti­ve und -maß­nah­me. Loh­nens­wer­te Be­rei­che sind vor allem Um­welt­schutz, Bio­lä­den, Ve­ga­nis­mus, An­ti­ras­sis­mus und ins­be­son­de­re die Flücht­lings­hil­fe, in der un­zäh­li­ge neue Jobs ent­stan­den, wäh­rend ge­ra­de Schwarz­ar­bei­ter mit einer grö­ße­ren Kon­kur­renz zu rech­nen haben. Auch An­ti­se­mi­tis­mus gilt nur als Ge­schäfts­mög­lich­keit für An­ti­deut­sche und sons­ti­ge Re­flek­tier­te in­klu­si­ve päd­ago­gi­scher, ge­schichts­träch­ti­ger Kaf­fee­fahr­ten nach Bu­chen­wald und der Gleich­set­zung von Is­lam­kri­tik mit An­ti­se­mi­tis­mus zum Zwe­cke der Ak­tua­li­sie­rung. (52) Eine der Stan­dard­be­wer­bungs­phra­sen lau­tet, Pro­ble­me seien für je­man­den Chan­cen, was nichts an­de­res heißt, als dass Leid An­de­rer schlicht­weg ei­ge­ne neue Be­rufs­mög­lich­kei­ten bie­tet, nur klingt es bes­ser. Diese Cha­rak­ter­be­schä­di­gung als Pro­sti­tu­ti­on des Mit­leids zu be­zeich­nen, ist – wie die balz­ac­sche oder kraus­sche Be­zeich­nung der Pro­sti­tu­ti­on des Geis­tes für den Jour­na­lis­mus – streng­ge­nom­men eine un­zu­läs­si­ge Be­lei­di­gung für jede Pro­sti­tu­ier­te, denn diese weiß nur zu gut, dass die Liebe, die sie ver­kauft, nur Er­schei­nung ihrer Ar­beits­kraft ist.
Was letzt­lich vom Ein­zi­gen übrig bleibt, ist nur die von Stir­ner in Buch­form vor­ge­zeich­ne­te Be­wusst­seins­struk­tur des Mit­tel­stan­des […], die kon­stan­te Be­reit­schaft zur Em­pö­rung. […] Die per­ma­nen­te Re­vo­lu­ti­on aus der Mitte ist die sta­tis­tisch ge­bün­del­te und straff or­ga­ni­sier­te Em­pö­rung der ein­zel­nen Mit­tel­ständ­ler. (S. 176f.) Dabei ist es Stir­ner selbst äu­ßerst wich­tig ge­we­sen, dass die Leser ja nicht Re­vo­lu­ti­on und Em­pö­rung ver­wech­seln:
Re­vo­lu­ti­on und Em­pö­rung dür­fen nicht für gleich­be­deu­tend an­ge­se­hen wer­den. Jene be­steht in einer Um­wäl­zung der Zu­stän­de, des be­ste­hen­den Zu­stan­des oder sta­tus, des Staats oder der Ge­sell­schaft, ist mit­hin eine po­li­ti­sche oder so­zia­le Tat; diese hat zwar eine Um­wand­lung der Zu­stän­de zur un­ver­meid­li­chen Folge, geht aber nicht von ihr, son­dern von der Un­zu­frie­den­heit der Men­schen mit sich aus, ist nicht eine Schil­der­he­bung, son­dern eine Er­he­bung der Ein­zel­nen, ein Em­por­kom­men, ohne Rück­sicht auf die Ein­rich­tun­gen, wel­che dar­aus ent­spries­sen. Die Re­vo­lu­ti­on ziel­te auf neue Ein­rich­tun­gen, die Em­pö­rung führt dahin, Uns nicht mehr ein­rich­ten zu las­sen, son­dern Uns selbst ein­zu­rich­ten, und setzt auf »In­sti­tu­tio­nen« keine glän­zen­de Hoff­nung. Sie ist kein Kampf gegen das Be­ste­hen­de, da, wenn sie ge­deiht, das Be­ste­hen­de von selbst zu­sam­men­stürzt, sie ist nur ein Her­aus­ar­bei­ten Mei­ner aus dem Be­ste­hen­den. (53)
Somit ist der Akt der Em­pö­rung Selbst­the­ra­pie und Auf­stiegs­sehn­sucht in einem. Em­pö­rung ist eine Un­ter­ta­nen­tu­gend [und] Stir­ner lehr­te die Ein­zi­gen, sich zu em­pö­ren, heißt es bei Helms. (S. 21) Laut Marx ist die Em­pö­rung schlicht die Auf­kün­di­gung des Re­spekts gegen das Hei­li­ge. (54) Sie ist also schein­bar sünd­haf­ter Trotz, der sich in sich selbst ge­fällt, und damit ein gutes Stück weit ent­fernt, von dem ab­so­lu­ten Ge­hor­sam, wel­cher oft­mals irr­tüm­lich als Grund­tu­gend des Klein­bür­gers ge­se­hen wird. Psy­cho­ana­ly­tisch wäre Stir­ner der Phi­lo­soph des schwa­chen Ichs, der gegen das nie recht in­ter­na­li­sier­te Über-Ich pö­belt und sein kaum vor­han­de­nes Ich dis­kur­siv (55) oder auch tät­lich er­hö­hen muss:
Da nun nicht der Um­sturz eines Be­ste­hen­den mein Zweck ist, son­dern meine Er­he­bung dar­über, so ist meine Ab­sicht und Tat keine po­li­ti­sche oder so­zia­le, son­dern, als al­lein auf Mich und meine Ei­gen­heit ge­rich­tet, eine ego­is­ti­sche. Ein­rich­tun­gen zu ma­chen ge­bie­tet die Re­vo­lu­ti­on, sich auf- oder em­por­zu­rich­ten heischt die Em­pö­rung.
Die Em­pö­rung ist also per­ma­nent vor­re­vo­lu­tio­när, darin der ver­ewig­ten Vor­lust der Vor­freu­de sehr ähn­lich, und sich dabei noch ra­di­kal ge­bä­rend. (56) In einer Fuß­no­te geht der große Em­pö­rer je­doch lie­ber auf Num­mer si­cher:
Um Mich gegen eine Kri­mi­nal­kla­ge zu si­chern, be­mer­ke Ich zum Über­fluss aus­drück­lich, dass Ich das Wort Em­pö­rung wegen sei­nes ety­mo­lo­gi­schen Sin­nes wähle, also nicht in dem be­schränk­ten Sinne ge­brau­che, wel­cher vom Straf­ge­setz­bu­che ver­pönt ist.
Em­pö­rung war im Straf­ge­setz­buch ein Auf­ruhr. Der Auf­ruf zu die­sem hätte ihm die Ver­fol­gung ein­brin­gen kön­nen, wel­che seine An­hän­ger immer wie­der als re­el­le ver­sucht haben an­zu­füh­ren, die es aber fak­tisch nie gab. Geis­ti­ger Ta­schen­spie­ler, der er nun ein­mal auf gan­zer Linie ist, ver­rät er na­tür­lich nicht, wel­cher diese ety­mo­lo­gi­sche Sinn denn nun sein möge. In an­de­ren Fäl­len sei­ner (Pri­vat-)Ety­mo­lo­gie, wie sie spä­ter Hei­deg­ger noch mehr in den Fokus rü­cken wird, ist Stir­ner etwas of­fe­ner: heim­lich ge­rinnt ihm über hei­misch zu ei­ge­nem sowie das Hei­li­ge über un­an­tast­bar zum Frem­den. Ge­gen­über ste­hen sich dann bei­spiels­wei­se Ei­gen­tum und Frem­den­tum. (57) Da er den Auf­stand schon aus jus­ti­zia­blen Grün­den nicht mei­nen darf – und doch auf seine ver­que­re, heißt in­di­vi­du­el­le und un­ter­grün­di­ge Weise meint –, geht es also um das Wört­chen empor, d.h. hin­auf und auf­wärts will der Ein­zi­ge. (58)
Dies ist in sehr vul­gä­rer Form nur einer der drei Teile der he­gel­schen Auf­he­bung aus ver­nei­nen, be­wah­ren, auf eine hö­he­re Stufe heben (tol­le­re, con­ser­va­re, ele­va­re) bzw. geht dem eine abs­trak­te, un­be­stimm­te Ne­ga­ti­on alles Abs­trak­ten voran. Eben da­durch je­doch wird er zum un­re­flek­tier­tes­ten Kon­ser­va­tor, in den Wor­ten von Marx: Re­vo­lu­ti­on = Um­sturz des Be­ste­hen­den, Em­pö­rung = Be­ste­hen des Um­stur­zes. (59) Zum Zwe­cke des Auf­stiegs wäre hin­zu­fü­gen. Der Auf­stieg in Per­ma­nenz ist selbst das Ziel, Tran­szen­den­tes und Ver­söh­nung hin­ge­gen das er­klär­te Fein­d­ob­jekt. Der Ein­zi­ge na­mens Stir­ner will hin­auf zur Em­po­re. Die spä­te­ren Wol­ken­krat­zer wären tat­säch­lich die per­fek­te Ver­ding­li­chung sei­nes Ver­eins ge­we­sen, so­fern er nur oben stün­de. Nicht ohne Grund war es der bi­bli­sche Nim­rod – der sich Em­pö­ren­de und der Erste, der Macht ge­wann auf Erden. (1.​Mose 10,8), wel­cher den Turm­bau zu Babel be­fahl. Der jet­zi­ge Mensch mit sei­nen Be­dürf­nis­sen sei das Maß der Em­pö­rung, denn schließ­lich sei er schon got­tes­gleich. Der na­tür­li­chen Furcht zum Ge­gen­part baut Stir­ner die ganz und gar künst­li­che Ehr­furcht auf.
Hier wird nicht bloss ge­fürch­tet, son­dern auch ge­ehrt: das Ge­fürch­te­te ist zu einer in­ner­li­chen Macht ge­wor­den, der Ich Mich nicht mehr ent­zie­hen kann; Ich ehre das­sel­be, bin davon ein­ge­nom­men, ihm zu­ge­tan und an­ge­hö­rig: durch die Ehre, wel­che Ich ihm zolle, bin Ich voll­stän­dig in sei­ner Ge­walt, und ver­su­che die Be­frei­ung nicht ein­mal mehr. Nun hänge ich mit der gan­zen Kraft des Glau­bens daran, Ich glau­be. […] Der Mensch ist nun nicht mehr schaf­fend, son­dern ler­nend (wis­send, for­schend usw.), d.h. be­schäf­tigt mit einem fes­ten Ge­gen­stan­de, sich ver­tie­fend in ihn, ohne Rück­kehr zu sich sel­ber. Das Ver­hält­nis zu die­sem Ge­gen­stan­de ist das des Wis­sens, des Er­grün­dens und Be­grün­dens usw., nicht das des Auf­lö­sens (Ab­schaf­fens usw.). (60)
Was Stir­ner hier als Ehr­furcht be­schreibt ist nur die Er­hö­hung und Ver­all­ge­mei­ne­rung der in­di­vi­du­el­len Be­schrän­kung des ei­ge­nen In­tel­lekts, der nicht wil­lens ist bei­spiels­wei­se auch nur ir­gend­ei­ne Sach­au­to­ri­tät an­zu­er­ken­nen – was Vor­aus­set­zung wäre, um von ihr zu ler­nen und sie even­tu­ell ir­gend­wann zu über­schrei­ten. (61) Es ist somit kein Wun­der, dass Stir­ner und sein Ein­zi­ger zum (teils un­ge­wuss­ten) Vor­bild aller plum­pen An­ti­au­to­ri­tä­ren avan­cier­te – die zu­erst den Bul­len in ihrem Kopf töten muss­ten, bevor sie be­gan­nen, auf echte zu schie­ßen. Dabei ist seine Kon­zep­ti­on der Ehr­furcht Aus­druck sei­ner ei­ge­nen Bor­der­line­phi­lo­so­phie, die be­stän­dig zwi­schen Idea­li­sie­rung und Ver­ach­tung schwankt, da ers­te­re je­doch den Ein­zi­gen in die Schran­ken wei­sen könn­te, sich sehr ver­läss­lich immer für die Ver­ach­tung alles als Hei­lig er­höh­ten ent­schei­det. Schaf­fend ge­rinnt ihm au­to­ma­tisch zu ab­schaf­fend, und dies of­fen­bart seine Em­pö­rung als in­di­vi­du­el­len und dau­er­haf­ten Wel­ten­brand, der in der Zer­stö­rung eher psy­cho­hy­gie­ni­sche Funk­ti­on er­füllt.
Die Feu­er­bach­the­se im Sinne Stir­ners lau­te­te dann: Es kommt nicht dar­auf die Welt zu ver­ste­hen, um sie zu än­dern, es kommt dar­auf an, sie zu­grun­de zu rich­ten, ohne dabei einen Ge­dan­ken an sie zu ver­lie­ren, der dem Ich in sei­ner Be­schränkt­heit un­an­ge­nehm sein könn­te. Von dem früh­au­to­no­men Ich als Maß aus­ge­hend, kann auch der Staat nur Be­schrän­kung der Ent­hem­mung sein und steht schlicht­weg im Wege. Der sich dar­aus spei­sen­de Hass auf den Staat hat Stir­ner für zahl­rei­che Be­schränk­te wahn­sin­nig at­trak­tiv er­schei­nen las­sen. Der bür­ger­li­che Staat ist je­doch gegen jede Kri­tik zu ver­tei­di­gen, deren Motiv dem Fol­gen­den äh­nelt:
Der Staat lässt nicht zu, dass mal Mann an Mann an­ein­an­der ge­ra­te; er wi­der­setzt sich dem Zwei­kampf. Selbst jede Prü­ge­lei, zu der doch kei­ner der Kämp­fen­den die Po­li­zei ruft, wird ge­straft, es sei denn, dass nicht ein Ich auf ein Du lo­s­prü­ge­le, son­dern etwa ein Fa­mi­li­en­haupt auf das Kind: die Fa­mi­lie ist be­rech­tigt, und in ihrem Namen der Vater, Ich als Ein­zi­ger bin es nicht. (62)
Es geht ihm also kei­nes­wegs darum, häus­li­che Ge­walt zu ver­bie­ten, son­dern sie zu ver­all­ge­mei­nern. Von sei­ner un­ter­stellt kon­sen­sua­len Rau­fe­rei kommt er über das mit Si­cher­heit ohne Ein­stim­mung ver­prü­gel­te Kind wie­der zu­rück zu sich und sei­nem Recht auf Ge­walt gegen alles und jeden, die Ge­walt über Leben und Tod. (63) Dass es ihm um einen sport­li­chen Box­kampf nach Re­gle­ment, wie es zeit­gleich zu sei­ner Schrift in Eng­land ein­ge­führt wurde, ge­gan­gen ist, darf wohl ge­trost ver­neint wer­den. Es geht ihm um den Stra­ßen­kampf, der Ei­gen­tum und Beute ein­bringt. Doch selbst wenn, würde es nur sei­nen be­schränk­ten deut­schen Blick be­wei­sen, da hier der Box­sport bis lange nach sei­nem Tod ver­bo­ten war. Ins­be­son­de­re auch seine Em­pö­rung über Du­ell­ver­bo­te (64) zeigt, dass sein Ver­ein viel­mehr eine auf die Stra­ße ge­tra­ge­ne Nach­bil­dung der schla­gen­den Ver­bin­dung ist.
Damit dürf­te auch ge­klärt sein, wie der Ein­zi­ge em­por­zu­kom­men ge­dach­te, falls sein in­fan­ti­les Schrei­en nicht mehr ge­nügt. (65) Wenn Marx schreibt, dass für Stir­ner der Staat, der na­tür­lich in Preu­ßen und in Nord­ame­ri­ka der­sel­be ist, ab­ge­schafft wer­den muß (66), stimmt dies nur be­dingt, denn mit der Staat hin­ge­gen ist immer der preu­ßi­sche Staat ge­meint, den er an­de­ren, wel­che er nicht Staa­ten nennt, son­dern als Re­gio­nen be­schreibt, durch al­ler­lei Fak­ten­dre­he­rei ge­gen­über­stellt. (67) Wei­ter als sein be­grenz­tes Um­feld reicht sein Blick in dem meis­ten Fäl­len schlicht­weg nicht. Erst die an Stir­ner er­lern­te Staats­feind­schaft… (S. 45) führ­te den Mit­tel­stand in die Be­we­gung und die bei­den deut­schen Ge­ne­ralem­pö­run­gen, die immer ma­so­chis­tisch waren. Statt Ge­hor­sam ist die deut­sche Tu­gend viel­mehr Em­pö­rung aus Un­ter­wür­fig­keit oder Un­ter­wer­fung, die mit einem enor­men Straf­ver­lan­gen und -be­dürf­nis ein­her­geht. Die­ser Ma­so­chis­mus ist Aus­druck der Sub­jekt­sehn­sucht, wäh­rend der Sa­dis­mus de Sades – mit dem Stir­ner oft­mals in eine Linie ge­stellt wird (68), viel­mehr für den Vor­rang des Ob­jekts ein­steht. Im li­te­ra­ri­schen Ma­so­chis­mus (Sa­cher-Ma­soch) re­gelt der Ver­trag das Prü­geln und Miss­han­deln, man si­chert sich ab, wäh­rend der bel­le­tris­ti­sche Sa­dis­mus zu­min­dest offen ar­ti­ku­liert, dass es ihm um das Ver­bre­chen als Kri­tik geht. De Sade schrieb gegen Vol­taire und Rous­seau glei­cher­ma­ßen. Meist nur unter dem As­pekt der Ver­let­zung des Sitt­li­chen – in Stir­ners Wor­ten des Hei­li­gen – be­trach­tet, galt ihm viel mehr: Das ein­zi­ge wirk­li­che Ver­bre­chen wäre es, die Natur zu be­lei­di­gen. Dabei wuss­te er von der Un­mög­lich­keit des­sen und nann­te es die schlimms­te Qual des Men­schen. Die stir­ner­sche Em­pö­rung ist ver­letz­ter Stolz, wäh­rend de Sade den Stolz selbst an­greift.
Helms his­to­ri­sche Be­trach­tung bricht um 1957 mit einer kur­zen Be­trach­tung des Exis­ten­tia­lis­mus ab, er nimmt sie je­doch in sei­nem spä­te­ren Es­say­band Fe­tisch Re­vo­lu­ti­on im Jahre 1969 wie­der auf. Ernst wie es ihm war, gab er 1968 vor­erst die ge­sam­mel­ten Schrif­ten Stir­ners her­aus, die ent­ge­gen ge­wis­sen Kri­ti­ken ge­ra­de in ihrer ten­den­ziö­sen Kür­zung das Wesen die­ser Phi­lo­so­phie sehr gut er­fasst, und mit einem aus­führ­li­chen Nach­wort ver­se­hen waren. Ma­ka­be­rer­wei­se hatte er je­doch mit die­ser Ver­öf­fent­li­chung zu­min­dest An­teil an einer neuen Stir­ner-Wel­le, gegen die er sich mit Fe­tisch Re­vo­lu­ti­on so­fort wen­de­te, in wel­chem er eine der frühs­ten Kri­ti­ken der Stu­den­ten­be­we­gung ver­fass­te – jener drit­ten, nicht mehr nur in Deutsch­land statt­fin­den­den, aber in wei­ten Tei­len trotz­dem sehr deut­schen Ge­ne­ralem­pö­rung, die nun als große Ver­wei­ge­rung (Mar­cu­se) auf den Plan trat. Ein SDS-Spre­cher durf­te da­mals im Spie­gel ant­wor­ten: Eine Kri­tik, die sich vor dem En­ga­ge­ment hütet, kann selbst wie­der zur Be­kämp­fung so­zia­lis­ti­scher Be­stre­bun­gen ge­nutzt wer­den. Unter der Hand ge­rinnt sie dem Spät­li­be­ra­len zur Recht­fer­ti­gungs­ideo­lo­gie der be­ste­hen­den Ge­sell­schaft. (69) Spä­tes­tens hier ist die Em­pö­rung also im En­ga­ge­ment auf­ge­gan­gen. Helms hatte sich die Frage ge­stellt, ob die Links­ra­di­ka­len über­haupt zur Re­fle­xi­on ihrer ge­sell­schaft­li­chen Lage und somit zum Über­gang auf po­li­tisch re­le­van­te Po­si­tio­nen fähig sind oder ob sie in einer po­li­tisch ir­re­le­van­ten Pro­test­hal­tung er­star­ren wer­den, die gra­du­ell pri­va­ti­siert wer­den kann und zur Ad­ap­ti­on an die be­ste­hen­de Klas­sen­herr­schaft füh­ren muss. (70) In eben jener be­spro­che­nen Schrift hat der Spät­li­be­ra­le noch ein­mal ge­zeigt, dass die feh­len­de Staats­kri­tik der Kri­ti­schen Theo­rie kein blin­der Fleck ist, son­dern dass viel­mehr in Zei­ten, in denen es kei­ner­lei An­zei­chen einer re­vo­lu­tio­nä­ren Stim­mung gäbe, Stu­den­ten aber ver­such­ten, die kri­ti­sche Theo­rie in po­li­ti­sche Ak­ti­on um­zu­set­zen, der neue Links­ra­di­ka­lis­mus den wirk­li­chen Klas­sen­feind, die Bour­geoi­sie, [nur] durch den Er­satz­klas­sen­feind Staat sub­li­mier­te. (71)
Über­setzt heißt dies: die Er­set­zung der Kri­tik der po­li­ti­schen Öko­no­mie durch Rau­fe­rei­en mit dem Staat ist ideo­lo­gi­scher Aus­druck des­sen, dass die Kri­ti­ker selbst ihre be­ruf­li­che Zu­kunft schon nur noch beim Staat bzw. in an­ge­schlos­se­nen Stif­tun­gen und In­sti­tu­ten sehen, aber ahnen, dass die­ser nicht län­ger die Mit­tel auf­brin­gen könn­te, um sie zu fi­nan­zie­ren. Er zeig­te, dass der An­ti-Eta­tis­mus der neuen Lin­ken nicht die not­wen­di­ge Kri­tik des rech­ten und alt­lin­ken Eta­tis­mus war. Viel eher wäre es wohl an­ge­bracht von einer not­wen­dig ent­täusch­ten Er­war­tungs­hal­tung zu spre­chen, die sich schließ­lich auch an den USA und vor allem Is­ra­el noch ein­mal wie­der­hol­te, nach­dem ei­ni­ge Zeit auf die ame­ri­ka­ni­sche Kul­tur­in­dus­trie und die is­rae­li­sche Ki­buz­zim-Be­we­gung alle Hoff­nung pro­ji­ziert wor­den waren. Und eben dies führt zum hei­li­gen Max von Marx und En­gels, die schon gegen Stir­ner ein­wand­ten, dass er sich aber an den Staat als einen Ar­beit­ge­ber wen­det und Be­sol­dung, d.h. Ar­beits­lohn ver­langt. (72) Zu­min­dest ein Haupt­an­lass der stu­den­ti­schen Pro­tes­te war ein ers­tes kur­zes Sto­cken des Wirt­schafts­wun­ders in Form einer klei­nen Re­zes­si­on in­klu­si­ve Bil­dungs­not­stand. (73) Alles be­gann also schon als ver­kapp­ter In­ter­es­sen­kampf und er­folg­reich er­presst haben sie den Staat letzt­lich vor allem um das Bafög – eine we­nigs­tens da­mals noch 100%ige Beute, auf die man nun sogar einen Rechts­an­spruch hatte. (74)
Nach Marx er­klärt sich so­wohl das an­der­wärts nie vor­kom­men­de red­li­che Be­am­ten­be­wusst­sein wie die sämt­li­chen in Deutsch­land kur­sie­ren­den Il­lu­sio­nen über den Staat (MEW 3, 178) aus der spe­zi­fi­schen his­to­ri­schen Si­tua­ti­on, einer Über­gangs­stu­fe – in Deutsch­land bis heute, in der die Ver­wal­tung und mit ihr der Staat eine eine ab­nor­me Un­ab­hän­gig­keit er­hielt. Uli Krug hat auf eine fehl­ge­lei­te­te Be­din­gung von Marx’ Re­vo­lu­ti­ons­theo­rie wie der ge­sam­ten Philo­sophiekritik hin­ge­wie­sen – näm­lich die Vor­stel­lung, dass nie­mand sich ernst­haft dar­an­ma­chen könn­te, diese Il­lu­sio­nen über den Staat in ein tat­säch­lich staat­li­ches Pro­gramm um­zu­set­zen – was aber be­kannt­lich ge­sche­hen soll­te (75) und zwar in Deutsch­land. Die Kri­tik des An­ti-Eta­tis­mus be­ruht des­halb auch dar­auf, dass die­ser eben selbst durch und durch eta­tis­tisch, deutsch-so­zia­lis­tisch ist. Stei­ne­wer­fer, die sich recht rasch mit Mi­nis­ter­pos­ten ab­spei­sen lie­ßen wie Josch­ka Fi­scher, sind nur allzu deut­li­ches Sym­ptom des­sen, was sich in den letz­ten 50 Jah­ren seit 1968 immer wie­der voll­zo­gen hat. Das neus­te, dies­mal po­li­tisch kor­rek­te Deut­sche Reich na­mens Eu­ro­päi­sche Union hat Stir­ner schon af­fir­ma­tiv vor­ge­zeich­net mit sei­nem Ent­wurf des deut­schen Fö­de­ra­tiv­kör­pers (S. 177ff). Deutsch­land, da in der Mitte Eu­ro­pas lie­gend, sei der Mitt­ler, süd­eu­ro­päi­sche Län­der hin­ge­gen als Pro­tek­to­ra­te an­zu­glie­dern, und über die Rand­völ­ker he­ge­mo­ni­al zu ver­fü­gen, wobei Russ­land aus­ge­schlos­sen wird: Ist Eu­ro­pa ins deut­sche Mut­ter­reich zu­rück­ge­kehrt, werde es ein ge­deih­li­ches ur­deut­sches Er­werbs­le­ben geben. (S. 179) (76)
Deutsch­land ist in die­sem Sinne wirk­lich der Ein­zi­ge Stir­ners in Staats­form. So stört es hier­zu­lan­de nie­man­den auf Kos­ten der US-Ver­schul­dung zu leben und Schul­den ab­zu­bau­en. Ger­ma­ny first, aber sub­til ist seit Jah­ren Staats­rä­son der BRD (77) und die Wahl Trumps ist des­halb die – zu­ge­ge­be­ner Weise recht un­ap­pe­tit­li­che – Kri­tik der, von Stir­ner in sei­ner Schrift Die Deut­schen im Osten Deutsch­lands an­ge­deu­te­ten, glo­ba­li­sier­ten deut­schen Ideo­lo­gie Das deut­sche Volk ist ein uni­ver­sa­les Volk. Zum Em­pö­rungs­grund wird die Schul­den­brem­se erst, wenn die Spar­maß­nah­men an den ei­ge­nen Auf­stiegs­mög­lich­kei­ten im Staat rüt­teln bzw. der Staat sei­ner auf ihn pro­ji­zier­ten Mut­ter­rol­le nicht mehr nach­kommt. (78) Dass die ve­he­men­tes­ten Staats­kri­ti­ker zu­min­dest ver­mit­telt für den Staat ar­bei­ten, und/oder die Kir­chen­kri­ti­ker für die Dia­ko­nie wird erst rich­tig zur Farce, wenn sie selbst nicht wahr­ha­ben kön­nen, in was für einer schi­zo­phre­nen Si­tua­ti­on sie sich be­fin­den. Wobei diese Farce nicht wirk­lich lus­tig ist, denn die (linke) Staats­feind­schaft meint die Auf­lö­sung des Staa­tes in Ver­ei­ne/Stif­tun­gen/Pro­gram­me, also Ra­ckets der öf­fent­li­chen Hand. Staats­kri­tik ist Ar­beits­kampf, als In­ter­es­sen­kampf in­ner­halb einer Klas­se um die Jobs als Sub­un­ter­neh­mer für den Staat. Die Ideo­lo­gie und ihre Aus­for­mun­gen sind dabei für diese Leute not­wen­dig fal­sches Be­wusst­sein und Pro­duk­ti­ons­mit­tel in einem, was der Autor der Schrift Em­pört Euch!, ohne es zu wis­sen, sehr deut­lich aus­sprach, als er die Be­rufs­em­pör­ten und -em­pö­rer adres­sier­te: Ich wün­sche jedem Ein­zel­nen von Ihnen ein ei­ge­nes Em­pö­rungs­mo­tiv. Denn das ist kost­bar. (79) Stir­ner setz­te die Em­pö­rung als Ge­schäfts­mo­dell, das nur mit einer ideo­lo­gi­schen Hohl­form be­setzt und ver­mark­tet wer­den muss, damit man hin­auf­ge­langt oder zu­min­dest nicht hin­ab­fällt zum Pöbel und Ge­socks, über den/das man zu ver­fü­gen ge­denkt.
Auch Helms ar­bei­te­te seit 1957 im wei­te­ren Sinne für den Staat (80), näm­lich beim WDR, nach­dem er vor­her schon für Mi­li­tär­sen­der in Wien und Salz­burg tätig war. In einer Dis­kus­si­ons­run­de im WDR kam er 1971 noch ein­mal haut­nah mit der Em­pö­rung eines ty­pisch deut­schen Mit­tel­ständ­lers in Be­rüh­rung. Der als Ver­tre­tung für den er­krank­ten Rio Rei­ser in die Sen­dung ge­schick­te Ma­na­ger von Ton Stei­ne Scher­ben (81) und vor­ma­li­ge Steu­er­be­ra­ter Nikel Pal­lat, ver­such­te dort ge­treu dem Motto der Band Macht ka­putt, was euch ka­putt macht mit einem mit­ge­brach­ten Hand­beil den Tisch zu zer­trüm­mern, da man schließ­lich par­tei­isch sein müsse. Wäre er auch nur fähig ge­we­sen, zu­zu­hö­ren, hät­ten ihm die bei­den In­tel­lek­tu­el­len, einer davon Helms, er­klä­ren kön­nen, dass die Wahr­heit von Kunst nicht in einer Bot­schaft liegt, und er auch keine Volks­mu­sik macht, so sehr er sich das auch ein­zu­re­den ver­sucht, son­dern schlicht Teil der Kul­tur­in­dus­trie ist. Von einem Ar­bei­ter hätte er hin­ge­gen ler­nen kön­nen, wie man eine Axt be­nutzt oder, dass man sogar ein ganz an­de­res Werk­zeug hätte ver­wen­den müs­sen. Ob­wohl die­ser ihn ver­mut­lich völ­lig zu Recht ge­fragt hätte, wieso ein Tisch ihn denn ka­putt mache. Letzt­lich war es auch ein klein­bür­ger­li­cher Zu­schau­er, der die Re­pa­ra­tur­kos­ten über­nahm, damit Pal­lat keine Ho­no­rar­kür­zun­gen zu be­fürch­ten hatte. Die Be­grün­dung des für die Em­pö­rung zah­len­den Apo­the­kers lau­te­te da­mals: Wir müs­sen ler­nen, Leute wie Pal­lat zu to­le­rie­ren. Em­pö­rung und die For­de­rung nach To­le­ranz haben sich seit eh und je wun­der­bar ver­tra­gen – sie sind zwei Sei­ten der­sel­ben Me­dail­le.
Helms spä­te­ren ideo­lo­gie­kri­ti­schen Stu­di­en wid­me­ten sich vor allen den Aus­wir­kun­gen der neuen Pro­duk­tiv­kräf­te und der Au­to­ma­ti­on. Dabei hat er, der sich immer sehr stark auf Feld­for­schung stütz­te, nie­mals eine die­ser ab­sur­den Fi­nal­kri­sen­theo­ri­en ent­wi­ckelt. (82) Er zog schließ­lich in die USA, nach­dem der di­let­tie­ren­de Phi­lo­soph (83), wie man ihn im Spie­gel da­mals noch schimpf­te, von der Uni­ver­si­tät Bre­men ver­an­lasst wurde, seine bei­den Schrif­ten Die Ideo­lo­gie der an­ony­men Ge­sell­schaft und Fe­tisch Re­vo­lu­ti­on ein­zu­rei­chen, für die er einen Dok­tor­grad er­hielt. Auf eine Be­ru­fung ver­zich­te­te er, hatte spä­ter aber Gast­pro­fes­su­ren au­ßer­halb von Deutsch­land inne. 1989 kehr­te er nach Deutsch­land zu­rück. Helms ging es darum, das Grau­en auf der Höhe der Zeit zu er­grün­den: Kon­se­quent ist Stir­ner der erste Phi­lo­soph der Ei­gent­lich­keit, die seit­her über Hei­deg­ger, Jas­pers und den Exis­ten­tia­lis­mus zum pri­mi­tivs­ten, nichts­sa­gen­den Ge­mein­platz der mit­tel­stän­di­schen Ideo­lo­gie ge­wor­den ist. (S. 95) Ein paar Worte zu einer wei­te­ren Ver­laufs­form die­ser Tra­di­ti­ons­li­nie seien noch er­laubt, denn Hes­sel und seine Schrift Em­pört Euch! gin­gen bei Sart­re in die Schu­le: Wenn etwas Sie em­pört, wie mich der Na­zis­mus em­pör­te, wer­den Sie mi­li­tant, stark und en­ga­giert. (84)
Zum Nachleben Stirners in der existenziellen Ideologiekritik
Als nu­an­cier­tes­te Ver­tre­ter der Sart­re-Schu­le müs­sen wohl die ehe­ma­li­gen Ideo­lo­gie­kri­ti­ker aus Wien mit Zweig- und Dis­tri­bu­ti­ons­stel­le in Frei­burg gel­ten, die die ab­so­lu­te Frei­heit, die Leib­haf­tig­keit, das an­geb­lich um Po­li­tik ge­rei­nig­te En­ga­ge­ment und zahl­rei­che wei­te­re grund­sätz­li­che Son­der­hei­ten neu­ent­deck­ten, und seit­dem ge­hö­ri­ge aka­de­mi­sche Lob­by­ar­beit in diese Rich­tung be­trei­ben. In der Ein­lei­tung zum Sam­mel­band gegen die Ge­gen­auf­klä­rung bei­spiels­wei­se wird das Vor­ge­hen fol­gen­der­ma­ßen er­läu­tert: Aus­zu­ge­hen ist dabei von Marx’ Re­plik auf Stir­ner (und Bauer und Feu­er­bach), fort­zu­schrei­ten über Ador­nos Hei­deg­ger-Kri­tik bis hin zur Be­stim­mung des­sen, was heute als deutsch gel­ten muss. […] Es han­delt sich nicht darum, will­kür­lich einen Zu­sam­men­hang her­zu­stel­len, der in Wahr­heit gar nicht exis­tiert. (85) Dies ma­chen sie dann auch nicht, nur ver­ges­sen sie gemäß der neuen Dok­trin einen, der in Wahr­heit und Wirk­lich­keit exis­tiert, denn die erste Welle des ver­kapp­ten Stir­ne­ria­nis­mus be­gann un­mit­tel­bar nach Kriegs­en­de und kam aus Frank­reich. (S. 495)
Ge­meint sind je­doch nicht die zahl­rei­chen Strän­ge von Struk­tu­ra­lis­mus, Post­struk­tu­ra­lis­mus und De­kon­struk­ti­on, son­dern der Exis­ten­zia­lis­mus um Jean-Paul Sart­re. Ins­be­son­de­re Mario Rossi hat die Tra­di­ti­ons­li­nie Stir­ner-Hei­deg­ger-Sart­re auf­ge­zeigt. (86) Aber auch Mar­cu­se hat den Zu­sam­men­hang in sei­ner Exis­ten­tia­lis­mus-Kri­tik von 1948/1950 bei­na­he zu grei­fen be­kom­men. Dort schreibt er über Sein und Nichts: Sar­tres Buch ist in wei­ten Tei­len ein Rück­griff auf He­gels Phä­no­me­no­lo­gie des Geis­tes und Hei­deg­gers Sein und Zeit (87). Etwas spä­ter hat er, lei­der ohne es rück­zu­be­zie­hen, genau das Mit­tel­glied zwi­schen Hegel und Hei­deg­ger, bei wel­chem Sart­re schließ­lich auch lan­den wird, zu­min­dest er­wähnt, denn Sar­tres Für-sich ist Stir­ners Der Ein­zi­ge und sein Ei­gen­tum näher als dem Co­gi­to Des­car­tes. (88) Sart­re, um dies schon ein­mal vor­weg­zu­neh­men, ist ein nur an­ge­hei­deg­ger­ter Jung­he­ge­lia­ner à la Stir­ner. Der Bezug auf Frei­heit und/oder Ein­zig­keit sind nur Ver­laufs­for­men, wie der Le­bens­lauf des Ber­li­ner Max Stir­ner zeigt, der zu­erst Mit­glied der Frei­en zum Stif­ter der Ein­zi­gen avan­cier­te. Auch Sart­re ging nach Ber­lin (1933-1934), ließ sich von der ak­tu­el­len Po­li­tik nicht wei­ter be­ein­dru­cken und las Hei­deg­ger. Unter deut­scher Be­sat­zung konn­te er sein Haupt­werk Das Sein und das Nichts ohne Pro­ble­me ver­öf­fent­li­chen. Wie bei Stir­ner sind es vor allem die un­zäh­li­gen Hohl­for­men, die das Werk so kom­pa­ti­bel ma­chen für jeg­li­che po­li­ti­sche Si­tua­ti­on und es zeigt sich, dass der exis­ten­zia­lis­ti­sche Le­bens­ent­wurf cha­rak­te­ri­siert durch Be­wusst­sein und Auf­leh­nung nicht so ver­schie­den ist von jenem, der den Ein­zi­gen und seine Em­pö­rung aus­zeich­net.
Mar­cu­se ist bei der Sart­re-Lek­tü­re der­sel­be Trick auf­ge­fal­len, der bei Stir­ner schon zu ver­mer­ken war: Der Aus­druck Für-sich um­fasst das Wir so­wohl wie das Ich; es ist das kol­lek­ti­ve so gut wie das in­di­vi­du­el­le Selbst­be­wusst­sein. (89) Des­halb ge­langt der Sart­re der Kri­tik der dia­lek­ti­schen Ver­nunft auch zur Grup­pe sowie zur Ge­walt als maß­geb­li­che Bau­stei­ne sei­ner Kon­zep­tio­nen. Die Ge­walt­ver­herr­li­chung in Sar­tres Fa­non-Vor­wort ist kein Aus­rut­scher, es ist die kon­ser­vier­te Em­pö­rung Stir­ners. (90) Mar­tin Dor­nis hält für den Sam­mel­band zur Deut­schen Ideo­lo­gie erst fest: Es lässt sich Hei­deg­gers On­to­lo­gie nicht ein­fach vom Kopf auf die Füße stel­len, um dann eine Seite spä­ter fort­zu­fah­ren, dass Sart­re kein deut­scher Ideo­lo­ge war, dafür hat er sei­nen Hei­deg­ger dann doch zu sehr von den Füßen auf den Kopf ge­stellt. (91) Das Sub­jekt durch­ge­stri­chen hät­ten erst die Post­struk­tu­ra­lis­ten – als ginge es nur darum. Be­züg­lich Hei­deg­ger, der sich nicht auf die Füße stel­len lässt, weil er auf die­sen an­schei­nend schon stand, damit Sart­re ihn wie­der auf den Kopf stel­len konn­te (Oder lag er?) heißt es nun wei­ter: Hei­deg­gers Sein ist der Wert. (92) Auf der nächs­ten Seite ist das Sein dann schon die ne­ga­ti­ve Auf­he­bung des Werts auf sei­ner ei­ge­nen Grund­la­ge. Dies mag wahn­sin­nig cle­ver klin­gen, ist je­doch nicht exakt der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus in Theo­rie­form ge­gos­sen, son­dern wenn diese For­mu­lie­rung ir­gend­et­was be­deu­ten soll, dann be­schreibt sie das Ka­pi­tal, also die Zer­set­zung der Ge­mein­we­sen, Pro­duk­ti­on für den Tausch, Mehr­wert­pro­duk­ti­on und damit vor allem (neue For­men der) Aus­beu­tung. Diese ne­ga­ti­ve Auf­he­bung des Werts auf sei­ner ei­ge­nen Grund­la­ge wäre also höchs­tens der ra­di­ka­le Bruch in der Re­al­ge­schich­te des Werts selbst (Tho­mas Maul), meint: Aus­beu­tung auf Grund­la­ge des Äqui­va­len­ten­tauschs oder: sich selbst ver­wer­ten­der Wert.
Was Dor­nis ab- oder nach­schrei­ben woll­te, steht in rich­ti­ger For­mu­lie­rung bei Cle­mens Nacht­mann, dem es um die ne­ga­ti­ve Auf­he­bung des Ka­pi­tals auf sei­ner ei­ge­nen Grund­la­ge geht. Deren con­di­tio sine qua non hin­ge­gen ist die Ver­über­flüs­si­gung des ge­sell­schaft­li­chen Hu­man­ka­pi­tals in per­ma­nen­ter Kri­sen­form. (93) Mit viel gutem Wil­len wäre das Ge­schwur­bel von Dor­nis also so zu ver­ste­hen: Hei­deg­gers Sein ist das in per­ma­nen­te Krise ge­ra­te­ne Ka­pi­tal, wel­ches mas­sen­wei­se über­flüs­si­ge Ar­beits­kraft frei­stellt. Wenn nun Sart­re dar­über ge­ret­tet wer­den soll, dass er an­geb­lich in we­sent­li­chen Punk­ten ex­pli­zit gegen Hei­deg­ger ar­gu­men­tier­te, hilft dies nicht son­der­lich wei­ter, da er damit gegen einen Wahn ar­gu­men­tier­te, was für ge­wöhn­lich eben nur selbst Wahn­sin­ni­ge tun. Gegen Hei­deg­gers Sein komme bei Sart­re als zen­tra­ler Be­griff das Nichts ins Spiel, das sich grob auf For­mel brin­gen lässt: Es gibt keine Natur des Men­schen, die den Men­schen fest­legt, son­dern der Mensch ist das, wozu er sich macht. Die Ein­zel­nen sind nun plötz­lich fähig sich aus dem Zu­sam­men­hang des Sei­en­den zu lösen. Nein zu sagen, er­mög­li­che Frei­heit. (94)
Bei Sart­re selbst liest sich das meist fol­gen­der­ma­ßen: Das Sein, durch das das Nichts in die Welt kommt, ist ein Sein, dem es in sei­nem Sein um das Nichts des Seins geht: das Sein, durch das das Nichts in die Welt ge­langt, muss sein ei­ge­nes Nichts sein. Kür­zer schreibt er über das Sein, das ist, was es nicht ist, und nicht ist, was es ist. Wer die­sen Schwach­sinn nicht ver­steht, möge sich wahr­lich nicht schä­men, denn ein Groß­teil des Wer­kes Sar­tres be­wegt sich eher auf einer psy­chi­schen Ebene. An­ders for­mu­liert: Schon Hei­deg­ger kann­te kei­nen Hun­ger. Die Nich­tung des Hun­gers ist bei Sart­re nun nicht ein­fach Essen, son­dern die Ent­schei­dung für die Mög­lich­keit des Es­sens, also bin ich als Hung­ri­ger be­reits satt: Ich bin zu­gleich mein Hun­ger und in Si­tua­ti­on ge­gen­über mei­nem Hun­ger, ich bin ein über­schrit­te­ner Hun­ger. (95) Das un­ter­schwel­li­ge Motto des Exis­ten­zia­lis­mus lau­tet dem­nach: Hun­ger im Bauch, Frei­heit im Her­zen! Die Miss­ach­tung der Öko­no­mie im Werk Sar­tres ist kei­nes­falls ein­fach zu kor­ri­gie­ren, denn sie um­fasst die Miss­ach­tung des stum­men Zwangs, und ist kon­sti­tu­tiv für die­sen Wahn­sinn.
Dass Hun­ger kein Grund zur Pro­duk­ti­on ist, heißt aber nicht, dass er nicht sehr wohl der Haupt­grund zur Ar­beit ist. Der Mensch ist zur Frei­heit ver­ur­teilt, statt zum Hun­ger, denn der Mensch ist nichts an­de­res als sein Ent­wurf; er exis­tiert nur in dem Maße, als er sich ent­fal­tet. Dass es even­tu­ell einen klei­nen Un­ter­schied zwi­schen einem Ent­wurf und des­sen Ent­fal­tung bzw. Ver­wirk­li­chung geben könn­te, kommt die­ser Le­bens­phi­lo­so­phie selbst­ver­ständ­lich nicht in den Sinn, da es der Ent­gren­zung der Wirk­lich­keit, wel­che der stir­ner­schen Ent­hem­mung allzu ver­wandt ist, nur im Wege stün­de: Mög­lich­keit und Wirk­lich­keit fal­len immer zu­sam­men. (96) Die pos­tu­lier­te ab­so­lu­te Frei­heit aus dem Nichts ist Leug­nung von Hun­ger und Aus­beu­tung, An­ge­bot und Nach­fra­ge sowie letzt­lich der Tausch­ge­sell­schaft. Mar­xens For­mu­lie­rung nach der der Ar­bei­ter frei ist die Ar­beits­kraft zu ver­kau­fen und somit Lohn zu er­hal­ten, der grob dem Wert der Ware Ar­beits­kraft ent­spricht, heißt je­doch eben auch frei jeg­li­chen Rechts zu sein, dass diese Ar­beits­kraft auch tat­säch­lich ge­kauft wird. Sar­tres Nichts ist kei­nes­falls die Ne­ga­ti­on oder gar das Nich­ti­den­ti­sche, son­dern bloß die dop­pel­te Frei­heit des Mit­tel­stan­des/Klein­bür­gers, sprich die über­flüs­si­ge/un­pro­duk­ti­ve Ar­beits­kraft – also eine Ar­beits­lo­sig­keit, die sich schon für fak­ti­schen Lohn hält. Die Exis­tenz geht dem Wesen/der Es­senz vor­aus, lau­tet einer der be­rühm­te­ren Sätze Sar­tres, womit er wie Stir­ner meint, die po­ten­ti­el­le Exis­tenz sei ei­gent­lich schon das Wesen.
Ein an­de­rer En­ga­gier­ter hat es da­ge­gen sehr viel kon­kre­ter und wah­rer aus­ge­drückt: Erst kommt das Fres­sen, dann kommt die Moral. Dass Sart­re hin­ge­gen 1942 am Pa­ri­ser Lycée Cond­orcet wis­sent­lich eine ent­ju­de­te Stel­le (97) an­nahm, nach­dem er seine Wi­der­stands­trup­pe selbst auf­ge­löst hatte, zeigt vor allem eines über den gro­ßen Mo­ral­apos­tel: er em­pör­te sich in einem durch­aus stir­ner­schen Sinne – näm­lich ohne Rück­sicht auf Ver­lus­te an­de­rer Leute. Sar­tres Phi­lo­so­phie ist nur Ab­klatsch der ne­ga­ti­ven Auf­he­bung der Lohn­ar­beit. Aus Not wird Tu­gend, denn ein Herr Sart­re lei­det nicht, er ist en­ga­giert im Lei­den – statt zu hun­gern, fas­tet er, hun­gert also be­wusst – ein dis­kur­si­ver Trick, den schon der eh­ren­wer­te Pro­phet Mo­ham­med be­herrsch­te, wenn man den alten Quel­len glau­ben darf. Sar­tres an­geb­li­ches Auf-den-Kopf-stel­len Hei­deg­gers (98) ist nur die Rück­kehr zu Stir­ner, ob be­wusst (99) oder be­wusst­los ist dabei völ­lig ne­ben­säch­lich. Wobei er je­doch genug von Hei­deg­ger mit­schliff. Sar­tres Bezug auf den Hun­ger, den man ak­zep­tie­ren könne oder nicht, hat Marx schon an Stir­ner bloß­ge­stellt. Über den stol­zen Ei­gen­tü­mer sei­nes Nicht-Ei­gen­tums schrieb Marx an En­gels: Wenn er Hun­gers stür­be, stür­be er nicht durch Man­gel an Le­bens­mit­teln, son­dern durch sein Ei­gen­tum: das Ver­hun­gern­kön­nen … Die Frei­heit Sar­tres ist nur noch jene Mög­lich­keit, ganz un­ge­stört – zu ver­hun­gern. (100) Auch Sart­re hat sein Sach’ auf Nichts ge­stellt. Cha­rak­ter­ty­pen die­ser Art hat Karl Kraus in Hüben und Drü­ben be­schrie­ben und selbst spre­chen las­sen: Denn viele, nicht alle kön­nen, ganz wie im Bür­ger­staat, Be­am­te sein; die an­dern haben nur den Glau­ben, aber keine Hoff­nung auf einen Fort­schritt, […] Uns kann nix gschehn: denn wir wür­den es uns ge­fal­len las­sen. Dem wa­ckern Ho­ra­tio ver­gleich­bar, dem nach­ge­rühmt wird, er sei der Mann, der nichts er­litt, indem er alles litt. Aus Sein zum Tode wird Sein zum Leid. Genau dies ist aber nur eine an­de­re Er­schei­nungs­form des Ma­so­chis­mus, der sich zwangs­läu­fig in der Ge­walt ent­la­den muss, die Sart­re wenig spä­ter zu pro­pa­gie­ren be­gann.
Schon Stir­ners Ich und der Ein­zi­ge mei­nen un­ter­schwel­lig die ju­ris­ti­sche Per­son (101) – das In­di­vi­du­um als Rechts­sub­jekt, die längst nur noch die Or­ga­ni­sa­ti­on bzw. Per­so­nen­ver­ei­ni­gung meint – was ihm mit dem Ver­ein dann auch her­ein­rutsch­te – und ge­ra­de des­halb ist sein schein­bar kon­kre­tes Ich das un­per­sön­lichs­te, abs­trak­tes­te: Der Mensch ist ja keine Per­son, son­dern ein Ideal, ein Spuk. (102) Bzw: Die Per­son ist ihr wi­der­lich, weil sie ego­is­tisch, weil sie nicht der Mensch, diese Idee, ist. (103) Stir­ner ist dabei kon­se­quent vor­ju­ris­tisch. Bei ihm heißt es unter an­de­rem: Meine Macht ist mein Ei­gen­tum. Meine Macht gibt Mir Ei­gen­tum. Meine Macht bin Ich selbst und bin durch sie mein Ei­gen­tum. (104) Und genau über sol­che Vor­stel­lun­gen schrieb Pa­schu­ka­nis: Die Ver­bin­dung des Men­schen mit dem von ihm selbst pro­du­zier­ten oder er­ober­ten oder gleich­sam einen Teil sei­ner Per­sön­lich­keit bil­den­den Ding ist ohne Zwei­fel his­to­risch ein Ele­ment in der Ent­wick­lung des Pri­vat­ei­gen­tums. Sie stellt des­sen ur­sprüng­li­che und be­schränk­te Form dar. (105)
Der Hei­li­ge Krieg gegen das hei­li­ge Si­gnal­wort der Mensch wird je­doch von an­de­ren wei­ter­ge­führt. Man lese von der Re­dak­ti­on der Pólemos: Die Würde des Men­schen ist un­an­tast­bar – die Würde einer Abs­trak­ti­on also; Pech also für die Men­schen, die hier­her flüch­ten, wenn sie es aus oder über si­che­re Dritt­staa­ten tun, und dabei nie­mals als der Mensch als sol­cher kom­men, son­dern nur als leib­li­che, kon­kre­te Ein­zel­ne. (106) Das ist eine der­ar­ti­ge Ba­na­li­tät, die di­rekt von Stir­ner stam­men könn­te, denn des Men­schen, heißt jedes Men­schen, heißt jedes ein­zel­nen kon­kre­ten, leib­li­chen Men­schen. Gram­ma­ti­ka­lisch ist der Mensch schlicht ein Kol­lek­tiv­sin­gu­lar. Letz­te­res ist schon ein Pro­dukt der Auf­klä­rung, wie zahl­rei­che His­to­ri­ker unter an­de­rem am Be­griff die Ge­schich­te nach­ge­wie­sen haben. Somit ist der Mensch im Recht ein kon­kre­ter Be­griff als Gat­tungs­be­griff. Die Feind­schaft gegen die Abs­trak­ti­on soll­te je­doch nicht ver­ges­sen ma­chen, dass Den­ken selbst ab­stra­hie­ren ist und es klei­ne Un­ter­schie­de bei­spiels­wei­se zwi­schen For­mal- und Re­al­abs­trak­ti­on gibt. Als wäre das Pro­blem nicht eher die Be­stim­mung der Würde (107), wel­che ihren Auf­trag und ihr durch­aus ma­te­ria­lis­ti­sches Ver­spre­chen ver­liert, wenn sie in einen ju­ris­ti­schen Be­griff ge­zwängt wird. Wäh­rend je­doch der Mensch zu­min­dest dar­auf ver­weist, dass es um ein paar mehr Men­schen geht, die in Be­zie­hung zu­ein­an­der­ste­hen, ist der Ein­zi­ge, der nack­te quäl­ba­re Leib, der Ein­zel­ne, also der Un­ver­gleich­li­che, nur eben­so abs­trak­ter Platz­hal­ter, der aber ver­langt, sich als Ich ein­zu­set­zen, ihn ein­sam und al­lein zu fül­len, fällt also weit hin­ter die erste Abs­trak­ti­on zu­rück, die auf jeden zielt. (108) Die Hy­post­asie­rung des Ein­zel­nen ge­gen­über dem Men­schen ist letzt­lich nur die dis­kur­si­ve Set­zung der kon­kre­ten gegen die abs­trak­te Ar­beit, was durch­aus kon­se­quent ist, denn auch die Ur­wahl und Ent­schei­dung Sar­tres trägt schon den Cha­rak­ter der Stu­di­en- oder Be­rufs­wahl.
Das Ein­zel­ne ist mehr so­wohl wie we­ni­ger als seine all­ge­mei­ne Be­stim­mung. (109) Den Rest lese man in den Zei­len bzw. Sei­ten um den Satz herum; nur ein Hin­weis sei noch er­laubt: Dia­lek­tik läuft, ihrer sub­jek­ti­ven Seite nach, dar­auf hin­aus, so zu den­ken, dass nicht län­ger die Form des Den­kens seine Ge­gen­stän­de zu un­ver­än­der­li­chen, sich selbst gleich­blei­ben­den macht; dass sie das seien, wi­der­legt Er­fah­rung. […] Die Wen­dung zum Nich­ti­den­ti­schen be­währt sich in ihrer Durch­füh­rung; blie­be sie De­kla­ra­ti­on, so nähme sie sich zu­rück. (110) Auch der Platz­hal­ter na­mens Leib ist eine sol­che De­kla­ra­ti­on in Zei­ten, in denen Klaus The­we­leit mit ei­ni­gem Recht schon nur noch vom Kör­per­pan­zer spricht. Der Leib fun­giert hin­ge­gen als schein­bar letz­tes, un­ver­lier­ba­res Ei­gen­tum, an das man sich klam­mert. Beim zeit­wei­li­gen Sart­re-Ka­me­ra­den Mer­leau-Pon­ty wird dies sehr viel ehr­li­cher aus­ge­drückt. Hier heißt es im Ori­gi­nal: le corps prop­re. Spä­ter wird in sei­nem Werk dar­aus das Fleisch. Der Ver­such, die alte Aura des Lei­bes zu ret­ten, bringt die Vor­stel­lung einer be­seel­ten Leib­haf­tig­keit her­vor, die sich über die fak­tisch un­mög­li­che und doch ge­dach­te Tren­nung von Ar­bei­ter und Ar­beits­kraft schon hin­aus­wähnt. Dies ist ein durch und durch ego­zen­tri­sches Welt­bild, das auf die see­li­sche Sub­sum­ti­on unter das Ka­pi­tal (Tho­mas Maul) re­agiert, sich dabei aber als sein ei­ge­ner Leib­ei­ge­ner, der er als Ich-AG nun ein­mal ist, be­stä­tigt, und somit Aus­beu­tung und Selbst­aus­beu­tung recht­fer­tigt, indem es gegen den Be­griff po­le­mi­siert, und ver­sucht da­durch einen an­de­ren Be­griff und die Sache zu ver­söh­nen, an­statt den Wi­der­spruch zu ent­fal­ten.
Sar­tres vor­recht­li­cher Schuld­be­griff be­ruht vor allem auf dem Be­dürf­nis den Hen­kern und Em­pö­rern Rechts­ti­tel zu lie­fern – einer An­ge­le­gen­heit, der Ador­no sich aus guten Grün­den ver­wei­ger­te. Von Ideo­lo­gie­kri­ti­kern wie Man­fred Dah­l­mann wird die­ses Be­dürf­nis allen Erns­tes mit der exis­ten­zi­el­len Kom­plett­ver­hun­zung der Psy­cho­ana­ly­se ab­ge­seg­net. So schreibt er das Un­be­wuss­te kom­plett leug­nend, dass alles, was bis­her als Un­be­wuss­tes ver­stan­den wurde, ohne dass dies im Wi­der­spruch zu des­sen Ana­ly­se ste­hen müss­te, auch als Re­sul­tat be­wuss­ter Ent­schei­dun­gen ge­le­sen wer­den kann – zu denen ge­ra­de ein Kind schon in den ers­ten Le­bens­jah­ren fähig ist. (111) In der sans phra­se steht dann völ­lig im Sinne Sar­tres ge­schrie­ben: Der An­ti­se­mi­tis­mus ist die Folge einer frei­en Wahl – wie jede Hal­tung, die der Ein­zel­ne ge­gen­über der Fak­ti­zi­tät ein­nimmt. (112) Sart­re und mit ihm Dah­l­mann, Dor­nis, Scheit usw. ver­wech­seln die sel­te­ne Gabe: den ju­ris­tisch un­ter­stell­ten [!] Wil­len, der ihn [als ju­ris­ti­sches Sub­jekt] unter den an­de­ren Wa­ren­be­sit­zern – sol­chen wie er selbst es ist – ab­so­lut frei und gleich macht, (113) mit wirk­li­cher Frei­heit des Wil­lens, der Wahl und Ent­schei­dung; die Ent­schä­di­gung mit der skla­vi­schen Ab­hän­gig­keit. Wäh­rend das Recht bzw. der Rich­ter ge­zwun­gen ist, je­man­den so zu ver­ur­tei­len, als ob sich je­mand völ­lig frei zu sei­ner Tat ent­schie­den hat, hat die Kri­tik dazu sehr viel we­ni­ger Be­rech­ti­gung, wenn sie dem neuen ka­te­go­ri­schen Im­pe­ra­ti­ve, den nach Ador­no Hit­ler den Men­schen im Stan­de ihrer Un­frei­heit auf­ge­zwun­gen hat, ihr Den­ken und Han­deln so ein­zu­rich­ten, dass Ausch­witz sich nicht wie­der­ho­le, nichts Ähn­li­ches ge­sche­he, (114) ge­recht wer­den möch­te. Dass Ausch­witz sich nicht wie­der­ho­le… deu­tet mit aller Dring­lich­keit auf das Mo­ment der Prä­ven­ti­on.
Was Ador­nos und Sar­tres Ar­bei­ten und Den­ken un­ter­schei­det, wurde eben­falls in der sans phra­se fest­ge­hal­ten. Dort kann man lesen, dass die Kri­ti­sche Theo­rie in der Fas­sung Ador­nos ihren Schwer­punkt auf die Frage legt, warum es den an­ti­se­mi­ti­schen Wahn als ge­sell­schaft­li­ches Phä­no­men gibt, wäh­rend sich Sart­re, vor dem Hin­ter­grund sei­ner Phi­lo­so­phie der Frei­heit, vor­ran­gig dafür in­ter­es­siert, dass sich Sub­jek­te für den an­ti­se­mi­ti­schen Wahn ent­schei­den und was das für die Juden be­deu­tet, Ador­no des­sen ge­sell­schaft­li­che und psy­cho­lo­gi­sche Ge­ne­se, Sart­re hin­ge­gen des­sen Exis­tenz und deren un­mit­tel­ba­re Vor­aus­set­zun­gen im Sub­jekt ins Zen­trum rückt. (115) Die un­mit­tel­ba­ren Vor­aus­set­zun­gen stam­men aus Sar­tres Be­griffs­la­bor – sind also wenn über­haupt seine phi­lo­so­phi­schen Vor­aus­set­zun­gen, die be­haup­ten, man würde sich völ­lig frei­wil­lig für einen Wahn ent­schei­den. Streng­ge­nom­men steht dort nur, und darin ist dem Zitat völ­lig zu­zu­stim­men, dass Sar­tres Schrif­ten gegen den An­ti­se­mi­tis­mus, nach Ausch­witz auf die Er­kennt­nis hin­aus­lau­fen, dass es An­ti­se­mi­tis­mus gibt. Wobei es sehr viel ehr­li­cher wäre, zu schrei­ben, dass dies hin­ter dem Vor­der­grund sei­ner Phi­lo­so­phie der Frei­heit ab­läuft, denn die ganze Be­schäf­ti­gung mit der Ju­den­fra­ge dient nur der Ver­ede­lung sei­nes ideo­lo­gi­schen Wer­kes. Die Auf­ar­bei­tung der Ver­gan­gen­heit, wel­che die an­ge­streb­te Er­zie­hung zur Mün­dig­keit mit­ein­schließt, wird ob­so­let durch die Set­zung der ab­so­lu­ten Ent­schei­dungs­frei­heit, also Mün­dig­keit, und der darin ein­ge­fass­ten Ab­rech­nung mit der Ver­gan­gen­heit.
Zu guter Letzt muss na­tür­lich auch die Em­pö­rung, auf wel­cher auch das En­ga­ge­ments Sar­tres be­ruht, ge­ret­tet wer­den – dies ge­schah in einem Text Ger­hard Scheits mit dem il­lus­tren Titel Über die Wut, die sich als Demut ge­fällt, und den Zorn, der zur Kri­tik ge­hört. (116) Über den Zorn der scheits­chen Kri­tik er­fährt man lei­der nicht viel mehr, als das, was im Titel steht. Über­haupt kommt das Wort nur noch ein­mal vor. Die Scheits­che Un­ter­schei­dung von Zorn und Wut ent­springt einem sehr selt­sa­men Zir­kel­schluss: Karl Kraus, der als Schutz­en­gel die­ses Ekels [in An­be­tracht links­deut­scher Zu­mu­tun­gen; P.G.] an­ge­ru­fen wer­den kann, war al­ler­dings das Ge­gen­teil eines Wut­em­pi­ris­ten. Wenn wü­tend sein heißt, nicht zu den­ken, dann ist der Zorn, der aus sei­nen Tex­ten spricht, ge­ra­de­zu In­be­griff des Den­kens. (117)
Diese zwei Sätze ent­hal­ten der­ma­ßen viel und kom­pri­mier­ten Un­sinn. Erstein­mal be­deu­tet, je­man­den an­ru­fen, ihn um etwas zu bit­ten oder auf sich auf­merk­sam ma­chen, was im Falle Kraus’ etwas schwie­rig wer­den dürf­te, so­fern hier nicht je­mand mit der For­de­rung nach der Ab­schaf­fung des Todes mit des­sen Leug­nung ver­wech­selt. Lesen könn­te man ihn bzw. seine Werke, und dort u.a. ei­ni­ges über den Zu­sam­men­hang von Krieg und Spra­che er­fah­ren – Tak­tik wäre wohl das Wort, und: Die fal­sches­ten Ar­gu­men­te kön­nen einen rich­ti­gen Hass be­zeu­gen. In sei­nem Ge­dicht Der Zeuge spricht das ly­ri­sche Ich zum Kai­ser: Dein Zorn ist dei­ner Klein­heit Über­maß, der alle Gren­ze, alles Maß ver­rückt, um groß zu sein, wenn er die Welt zer­stückt. Schutz­en­gel waren ihm hin­ge­gen Po­li­zeia­gen­ten. Der Anruf von Schutz­en­geln ist vor allem Aus­druck eines per­sön­li­chen Für­sor­ge­be­dürf­nis. Zu fra­gen wäre auch, wieso aus den Tex­ten des Schutz­en­gels die­ses Ekels Zorn und nicht schlicht­weg Ekel spricht, was schließ­lich eine recht tref­fen­de Be­schrei­bung des­sen Oue­v­res wäre. Nun kommt der Ekel aber nicht im Titel vor. Der Junk­tor wenn…, dann…, stellt eine Be­din­gung dar, und über Wut hat Ador­no ein­mal etwas ge­schrie­ben, das man pa­ra­phra­sie­ren, um­dre­hen und als Be­din­gung setz­ten kann, womit man auf schein­bar si­che­ren Füßen steht.
Nur hat Ador­no in sei­nem halb- und breit­zi­tier­ten Satz nicht ge­schrie­ben, dass, wü­tend sein hieße, nicht zu den­ken, son­dern: Wer denkt, ist in aller Kri­tik nicht wü­tend. (118) Dem folgt im Zu­sam­men­hang, wor­auf mit einem Dop­pel­punkt extra hin­ge­wie­sen wird: Den­ken hat die Wut sub­li­miert. An­ders for­mu­liert heißt es also: Wer denkt, ist nicht mehr wü­tend bzw. wer wü­tend ist, denkt noch nicht. Da nun Karl Kraus’ Fä­hig­keit zum Den­ken wie auch die Er­geb­nis­se die­ses Den­kens tat­säch­lich aus sei­nen Tex­ten spre­chen, kann die­ser nicht wü­tend ge­we­sen sein (Scheit) bzw. nicht mehr (Ador­no). Bei Ador­no tritt das Den­ken an die Stel­le Wut, bei Scheit hin­ge­gen muss etwas Neues hin­zu­kom­men, das die Em­pö­rung doch noch ret­tet, was der erst ge­prie­se­ne Ekel, wel­cher tat­säch­lich Teil der Idio­syn­kra­sie ist oder ihr zu­min­dest sehr na­he­steht, an­schei­nend nicht ver­mocht hätte. Wie in der Ilias Ho­mers kommt der Zorn wie aus dem Nichts – wäh­rend er dort je­doch im Spä­te­ren noch er­läu­tert wird, wird er hier ein­fach un­ter­ge­scho­ben, als Zorn, der zur Kri­tik ge­hört – also der Zorn als Teil oder Vor­aus­set­zung der Kri­tik. Wer hin­ge­gen even­tu­ell wü­tend war, ist nur noch wü­tend, also der bloß Wü­ten­de – der ne­ben­bei be­merkt laut Titel sich aber auch noch in der Demut ge­fal­len soll, und wird dem Zür­nen­den, heißt hier und nur hier: dem Kri­ti­ker ent­ge­gen­ge­stellt.
Der Un­ter­schied von Wut und Zorn ist in zahl­rei­chen Dar­stel­lun­gen oft­mals ein nur gra­du­el­ler, doch gibt es auch einen qua­li­ta­ti­ven, nur stellt sich die­ser deut­lich an­ders dar, als es Scheit sug­ge­riert. Schon Aris­to­te­les hat in sei­ner Rhe­to­rik den Zorn be­schrie­ben als ein von Schmerz be­glei­te­tes Trach­ten nach of­fen­kun­di­ger Ver­gel­tung wegen of­fen­kun­dig er­folg­ter Ge­ring­schät­zung, die uns selbst oder einem der Uns­ri­gen von Leu­ten, denen dies nicht zu­steht, zu­ge­fügt wurde. (119) Damit sind zwei Merk­ma­le be­son­ders wich­tig. Ers­tens zürnt not­wen­di­ger­wei­se der Zür­nen­de immer einer in­di­vi­du­ell be­stimm­ba­ren Per­son […] und nicht der Mensch­heit all­ge­mein und zwei­tens: mit dem Zorn geht not­wen­di­ger­wei­se eine ge­wis­se Lust ein­her, die der Hoff­nung auf Ver­gel­tung ent­springt. Zorn ist in wei­ten Tei­len ein Rache­be­dürf­nis, das sich auf eine kon­kre­te Per­son be­zieht. Wie man sich in der Scham be­trach­tet fühlt, in der Wut unter Um­stän­den wild um sich blickt, so schaut man im Zorn in der Regel schon von vorn­hin­ein auf je­mand be­stimm­tes von oben hinab – lange Zeit war dies Gott. Der Zorn speist sich aus dem trü­ge­ri­schen Wis­sen im Recht zu sein, und kann nur be­sänf­tigt wer­den. In der Spra­che drückt sich dies so aus, dass man streng­ge­nom­men über oder auf etwas wü­tend, auf je­man­den hin­ge­gen zor­nig ist.
In der Wut kommt der Vor­rang des Ob­jekts als Über­wäl­ti­gung zur Gel­tung. Des­halb ist Wut we­ni­ger blind als viel­mehr ohn­mäch­tig. Wut kann zum Den­ken füh­ren. Dann je­doch nimmt sie sich darin zu­rück und ist höchs­tens als Im­puls des Den­kens zu be­trach­ten. Der Zorn hin­ge­gen ist eine Per­so­na­li­sie­rung der Aver­si­on. Er er­wächst in der Regel aus einer Ver­let­zung des Stol­zes oder eines An­spruchs, den man meint zu haben. Im Ka­te­chis­mus ist er ein Las­ter vor allem auf­grund sei­ner Af­fi­ni­tät zum Ver­lan­gen nach Rache. Der sä­ku­la­re-hei­li­ge Zorn, wie er von Scheit pro­pa­giert wird, kennt sein Ziel schon vor dem Den­ken, weiß sich im Recht und geht somit weit eher als die Wut un­re­flek­tiert in den Text. Die größ­te Ge­mein­sam­keit von Wut und Zorn läge darin, dass man, so­fern man von einem der bei­den be­fal­len wurde, erst ein­mal durch­at­men soll­te, bevor man in die Tas­ten haut. Kei­nes­wegs heißt wü­tend sein, au­to­ma­tisch zum Den­ken zu ge­lan­gen, nur im Zorn wird es sogar noch schwie­ri­ger. Der Wie­ner Zorn ist nur schein­bar re­flek­tier­te Em­pö­rung – man kann sich trotz­dem noch als Achil­les oder sons­ti­ger Heros füh­len. In ähn­li­che Zu­sam­men­hän­ge stell­te sich schon sein Men­tor Sart­re. In sei­nem Vor­wort zu Fa­nons Ver­damm­ten schrieb er: Die Ge­walt kann, wie die Lanze des Achill, die Wunde ver­nar­ben/hei­len, die sie ge­schla­gen hat. (120) Auch Sart­re be­zieht sich auf den be­rühm­tes­ten Zorn der Ge­schich­te.
Han­nah Arendt hat da­ge­gen ein­ge­wandt: Wenn dies stimm­te, dann wäre Rache eine Art All­heil­mit­tel. (121) Da sie weiß, dass es sich hier­bei um Quatsch han­delt, fährt sie fort: Diese neuen Vor­stel­lun­gen von der Ge­walt und dem, was sie ver­mag, […] ste­hen auf einer Stufe mit Fa­nons ärgs­ten rhe­to­ri­schen Ent­glei­sun­gen – wie, dass es bes­ser sei, in Würde zu hun­gern als das Brot der Skla­ve­rei zu essen. Es be­darf kei­ner Ge­schich­te und kei­ner Theo­rie, um die­sen Aus­spruch als Un­sinn zu durch­schau­en; es ge­nügt die flüch­tigs­te Be­trach­tung der Kör­per­pro­zes­se. Hätte aber Fanon ge­sagt, dass es bes­ser sei, sein Brot in Würde zu essen als Ku­chen in der Skla­ve­rei, was na­tür­lich rich­tig ist, so wäre die rhe­to­ri­sche Poin­te ver­lo­ren. (122) Be­züg­lich der For­mu­lie­rung Sar­tres hat Arendt rich­tig er­kannt, dass auch diese eine im­pli­zi­te, die­ser un­säg­lich sug­ges­ti­ven Wenn-dann-For­mu­lie­run­gen ist, die sich hier mit ihrer Be­din­gung auf den My­thos stützt. Aber der My­thos war deut­lich re­flek­tier­ter als seine heu­ti­gen Wie­der­käu­er: erst ein­mal kann nur Achil­les selbst die Lanze über­haupt an­he­ben, was ihre De­struk­tiv­kraft und deren be­schränk­te Hand­ha­be her­vor­hebt. Dass Achil­les selbst sein Leben im Krieg ver­liert, ist ein wei­te­rer klei­ner Hin­weis gegen die Vor­stel­lung des All­heil­mit­tels na­mens Ge­walt. Vor allem aber heilt die Lanze nicht die Wunde, die sie schlug, son­dern eine ein­zi­ge. Über­haupt ist die Dar­stel­lung, in der Odys­seus er­kennt, dass der Ora­kel­spruch, nach­dem Te­le­phos nur von dem Ver­ur­sa­cher sei­ner Wunde ge­heilt wer­den könne, sich nicht auf Achil­les son­dern seine Lanze be­zieht eine über­aus iro­ni­sche, was Sart­re nicht er­ken­nen konn­te, da seine Poin­te dann wirk­lich zu­nich­te ge­gan­gen wäre. Die ma­gi­sche Vor­stel­lung, wel­che in Bezug auf die Waf­fen im My­thos schon in iro­ni­scher Bre­chung mit­schwingt, hat Marx selbst­ver­ständ­lich auch wie­der an Stir­ners ei­ge­ner Vor­stel­lung bloß­ge­stellt: Nur die Waf­fen kämp­fen, nicht die Leute, die sie füh­ren und zu füh­ren ge­lernt haben. Diese sind bloß zum Tot­ge­schos­sen­wer­den da. (123) Auch die An­kla­ge der abs­trak­ten Demut hat Scheit von Nietz­sche über­nom­men, oder di­rekt vom Be­griff­s­a­kro­ba­ten Stir­ner: Der mo­ra­li­sche Ein­fluss nimmt da sei­nen An­fang, wo die De­mü­ti­gung be­ginnt, ja er ist nichts an­de­res, als diese De­mü­ti­gung selbst, die Bre­chung und Beu­gung des Mutes zur Demut herab. (124)
Demut ist nun lei­der nicht das Ge­gen­teil von Kri­tik oder Mut, son­dern von Stolz oder gar Hy­bris, Hoch­mut, ent­fernt der Ar­ro­ganz (125); Stolz ist Aus­druck der Ehre – und somit ver­rät Scheit recht prä­gnant, wor­auf seine Kri­tik be­ruht. Sehen Wir davon ab, dass Stolz eine Über­schät­zung aus­drü­cken könn­te, (126) schreibt auch Stir­ner, und kann mit die­ser äu­ßerst frag­wür­di­gen Prä­mis­se den Stolz für die Kon­zep­ti­on sei­ner Em­pö­rung ein­fach nut­zen. Der von Scheit als Schutz­en­gel an­ge­ru­fe­ne Zorn ist Aus­druck des ver­letz­ten Stol­zes und nichts An­de­res ist die lang und breit mit Sart­re be­trie­be­ne Sub­jekt­über­schät­zung – die sich schon in der blo­ßen Set­zung von Zorn als Modus der Kri­tik prak­tisch of­fen­bart, und seit Stir­ner ei­ni­ges an Ge­wicht auf­weist. (127) Auch die mehr­mals um­ge­schrie­be­ne Phi­lo­so­phie der Em­pö­rung, die uns so­eben in schlech­ten An­ti­the­sen und wel­ken Re­de­blu­men vor­ge­tra­gen wurde, ist in letz­ter In­stanz nichts als eine bramar­ba­sie­ren­de Apo­lo­gie der Par­ven­u­wirt­schaft (Par­ve­nü, Em­por­kömm­ling, Em­por­ge­kom­me­ner, Em­pö­rer). (128) Sar­tres Phi­lo­so­phie ist eine Phi­lo­so­phie des Le­bens­laufs. Die Ur­wahl ist Be­rufs­wahl, die man nur mit dras­ti­schen Ent­schei­dun­gen wie­der re­vi­die­ren kann. Das En­ga­ge­ment hin­ge­gen ist linke Em­pö­rung. Der Be­griff des En­ga­ge­ments kommt nicht um­sonst von dem An­ge­stell­ten­ver­hält­nis bzw. dem Ho­no­rar der Künst­ler oder Sold der Mi­li­tärs (Gage). Über Jahr­hun­der­te gab es das da­zu­ge­hö­ri­ge Verb nur als tran­si­ti­ves: en­ga­giert wer­den/je­man­den en­ga­gie­ren; jmd. ver­pflich­ten oder ver­pflich­tet wer­den gegen eine Be­zah­lung. Die re­fle­xi­ve Form sich en­ga­gie­ren ist erst seit An­fang/Mitte des 20. Jahr­hun­derts be­kannt, und dem eben­falls re­fle­xi­ven Em­pö­ren nach­ge­bil­det.
Es ist doch sehr un­wahr­schein­lich, dass der von Scheit be­müh­te Ador­no mit sol­chen Zei­len, wie den obi­gen von Scheit, die Ar­beit und An­stren­gung des Be­griffs, das heißt also die Ar­beit und An­stren­gung der Sub­jek­ti­vi­tät ge­meint haben dürf­te, denn, dass der Den­ken­de nicht mehr wü­tend sei, be­ruht eben­so auf dem vor­an­ge­stell­ten Satz: Was trif­tig ge­dacht wurde, muss wo­an­ders, von an­de­ren ge­dacht wer­den: dies Ver­trau­en be­glei­tet noch den ein­sams­ten und ohn­mäch­tigs­ten Ge­dan­ken. (129) Das kann es nun ge­ra­de nicht, da das Pos­tu­lier­te jeder Logik, wie auch jeder Er­fah­rung wi­der­spricht.
Statt zu hof­fen wäre hier­bei eher zu fürch­ten, dass die­ser Quatsch wirk­lich wo­an­ders und von an­de­ren nach­ge­dacht wer­den könn­te, heißt: dass Leute sich dies an­eig­nen, es nach­ma­chen/reden und für Ge­dan­ken hal­ten, sich die­ser Bau­ern – bzw. Lum­pen­in­tel­lek­tu­el­len­fän­ge­rei also er­ge­ben, die sich dem An­ge­neh­men statt der Kri­tik ver­schrie­ben hat. Die be­tref­fen­den, un­zäh­li­gen Wenn-dann-Kon­struk­tio­nen sind nur noch Glau­bens­fra­gen. Soll also die Aus­ein­an­der­set­zung mit Sart­re einen Sinn haben,…, be­ginnt einer jener Sätze und setzt mit dem ers­ten Teil schon, dass es einen Sinn in die­ser Aus­ein­an­der­set­zung geben müsse. Man kann also den zwei­ten Teil des Sat­zes durch­aus igno­rie­ren und zur be­tref­fen­den Fuß­no­te schwei­fen, in der der wirk­li­che Sinn der Be­schäf­ti­gung of­fen­bart wird. Laut Scheit habe näm­lich Man­fred Dah­l­mann nicht nur in die­ser Hin­sicht […] in sei­nem Buch […] neue Grund­la­gen ge­schaf­fen. (130)
Der Kul­tus des Ein­zi­gen und sei­nes er­ar­bei­te­ten geis­ti­gen Ei­gen­tums zieht sich heute bis in die pro­fi­lier­tes­ten Per­so­ni­fi­ka­tio­nen die­ser neuen exis­ten­ti­el­len Ideo­lo­gie­kri­tik – sei es der Teil­zeit­pu­bli­zist, der nach jedem Post in den so­zia­len Netz­wer­ken, wel­cher vier Zei­len über­schrei­tet, meint eine Rech­nung zu prä­sen­tie­ren, die ver­kün­det, wie­viel er mit die­ser Geis­tes­ar­beits­zeit hätte ver­die­nen kön­nen (und es mit hätte müs­sen ver­wech­selt), der also sein ver­meint­li­ches Ver­mö­gen für Ka­pi­tal hält, da er auf sei­nem Blog schließ­lich Nich­ti­den­ti­sches an­bie­te und dabei auch noch eine Spar­te na­mens Ge­sam­mel­te Werke (131) zur Ver­fü­gung stellt; oder die­je­ni­gen, die immer wie­der als erste und ein­zi­ge einen der im­ma­nen­ten Wi­der­sprü­che oder blin­den Fle­cken der Kri­ti­schen Theo­rie ent­de­cken, den sie dann als Ein­zi­ge be­fugt seien, in­tel­lek­tu­ell und im bes­ten Fall auch mo­ne­tär aus­zu­schlach­ten. Ein­zig­keit ist ihre trade mark, ur­teil­te schon Helms über sol­che Grup­pen­bil­dun­gen (S. 128). Der psy­chi­sche, in­di­vi­du­el­le Mehr­wert geht auf Kos­ten der Kri­tik, der Spra­che und letzt­lich der Wahr­heit – und das ist das zu Kri­ti­sie­ren­de (132). Muss man für solch ein Ur­teil die Her­kunft von Stir­ner ab­lei­ten? Nein, kei­nes­wegs. Schon die ei­ge­ne Er­fah­rung soll­te bei wei­tem ge­nü­gen. Kann man es? Durch­aus, wie Hans G Helms dar­ge­legt hat.
Pau­let­te Gens­ler
Anmerkungen:
  1. Lands­hut: Vor­wort. In dersl (Hg): Marx: Früh­schrif­ten. Stutt­gart 1953. S. VI
  2. Ebd. S. XLVII
  3. Bernd Laska: Ein heim­li­cher Hit. 150 Jahre Stir­ners Ein­zi­ger. Eine kurze Edi­ti­ons­ge­schich­te. 1994. S. 30
  4. Ebd. S. 31
  5. Hans Mayer: Au­to­ri­tät und Fa­mi­lie in der Theo­rie des An­ar­chis­mus. In: Stu­di­en über Au­to­ri­tät und Fa­mi­lie. S. 824-849, kon­kret zu Stir­ner S. 833-838
  6. Ebd. S. 829
  7. Len­hard, Phil­ipp: Se­kun­dä­rer Nar­ziss­mus als Ge­sell­schafts­prin­zip. Über zwei Vor­läu­fer des Na­zi­fa­schis­mus. In Pro­do­mo 13.
  8. Gru­ber/Len­hard: Ge­gen­auf­klä­rung. Der post­mo­der­ne Bei­trag zur Bar­ba­ri­sie­rung der Ge­sell­schaft. Frei­burg 2011. S. 11; pro­gram­ma­tisch den Exis­ten­tia­lis­mus aus­spa­ren­den – Eine Aus­nah­me ist der Bei­trag Mar­tin Dor­nis, in dem es je­doch de­zi­diert und ei­ner­seits-an­de­rer­seits-dia­lek­tisch heißt: Alles zuvor Ge­schil­der­te macht Sart­re nicht zum deut­schen Ideo­lo­gen. Dazu Das Nach­le­ben … siehe unten.
  9. Ebd. S. 10
  10. Fin­ken­ber­ger, Jörg: Staat oder Re­vo­lu­ti­on. Ca ira 2015. S. 182
  11. Hans G Helms: Die Ideo­lo­gie der an­ony­men Ge­sell­schaft. Max Stir­ners Ein­zi­ger und der Fort­schritt des de­mo­kra­ti­schen Selbst­be­wusst­seins vom Vor­märz bis zur Bun­des­re­pu­blik. Köln 1966. Aus die­sem Werk ist im Fol­gen­den zi­tiert, so­fern nur die Sei­ten­zah­len im Text an­ge­ge­ben sind.
  12. Be­he­moth. S. 145
  13. Goe­the: Va­ni­tas! Va­ni­tatum va­ni­tas!; dabei be­zieht sich Goe­the schon im Titel auf eine Ode des Ba­rock­dich­ters Gry­phi­us; sowie in­halt­lich auf Adam Reus­ners/Jo­hann Leons Kir­chen­lied Ich hab mein Sach’ Gott heim­ge­stellt (Ewig­keits­lied zu Römer 14,8), das einen Ver­such dar­stellt, die Angst vor dem Tode durch Gott­ver­trau­en zu be­sänf­ti­gen und des­sen drit­te Stro­phe die Ak­zep­tanz des Jam­mer­ta­les in sei­nem Grau­en als not­wen­dig fal­sches Be­wusst­sein mar­kiert: Es ist all­hier ein Jam­mer­tal, Angst, Not und Trüb­sal über­all; des Blei­bens ist ein klei­ne Zeit voll Müh und Leid, und wer’s be­denkt, ist stets im Streit. Bei Goe­the, der sich hier 1806 iro­nisch für die ent­täusch­te Le­bens­freu­de aus­spricht, heißt es: Ich hab’ mein Sach auf Nichts ge­stellt, Juch­he! Drum ist’s so wohl mir in der Welt; Juch­he! Und wer will mein Ca­me­ra­de sein, Der stoße mit an, der stim­me mit ein, Bei die­ser Neige Wein. Nach­dem das ly­ri­sche in der Ver­gan­gen­heit sein Sach auf Geld und Gut, auf Wei­ber, auf Reis’ und Fahrt, Ruhm und Ehr, Kampf und Krieg, ge­stellt hatte und alles in­klu­si­ve eines Bei­nes wie­der ver­lor, heißt es am Ende: Nun hab’ ich mein Sach auf Nichts ge­stellt, Juch­he! Und mein ge­hört die ganze Welt; Juch­he! Zu Ende geht nun Sang und Schmaus. Nur trinkt mir alle Nei­gen aus; Die letz­te muß her­aus! Zu be­haup­ten, Stir­ners In­ten­ti­on sei auch nur ver­gleich­bar iro­nisch, wäre mehr als fahr­läs­sig.
  14. Max Stir­ner: Der Ein­zi­ge und sein Ei­gen­tum. Re­clam 1972. S. 3-5
  15. Ador­no: GS, Band 6. S. 525
  16. Ebd. S. 524f
  17. Dass die For­mu­lie­rung des Ha­sen-aus-dem-Sack-Las­sens etwas ver­wir­rend ist, sei zu­ge­ge­ben, denn es ist streng­ge­nom­men die Um­keh­rung des Katze aus dem Sack Las­sens – ver­mut­lich ist damit aber ge­meint, dass Stir­ner wirk­lich alles offen aus­ge­plau­dert habe. Vgl da­ge­gen: Mi­ni­ma Mo­ra­lia – Apho­ris­mus 31 na­mens Katze aus dem Sack
  18. Ins­be­son­de­re: H. Arvon,Une polémique in­con­nue: Marx et Stir­ner, erst­ver­öf­fent­licht in Sar­tres Zeit­schrift: Les temps mo­der­nes, 1951(7), 509–53 – dass Fin­ken­ber­ger Ar­vons Werk kann­te, ver­rät die erste Fuß­no­te auf Seite 183 sei­nes Schmitt-Bu­ches.
  19. Jörg Fin­ken­ber­ger: Max Stir­ner und der Ma­te­ria­lis­mus. Ein Bei­trag zur Ide­en­ge­schich­te der Be­frei­ung. In Gai Dào 1/2014, 21 ff.
  20. Grob 1.300 mal
  21. Der Ein­zi­ge. S. 412
  22. Der Ein­zi­ge. S. 296
  23. Der Ein­zi­ge. S. 294 Über das Spie­len mit der Vul­gä­re­ty­mo­lo­gie bzw. Ety­mo­ge­lei hat Marx prin­zi­pi­ell sich schon ge­nü­gend ge­äu­ßert, es wird aber noch ein paar Mal be­geg­nen.
  24. Der Ein­zi­ge. S. 281f.
  25. Der Ein­zi­ge. S. 196
  26. Der Ein­zi­ge. S. 342
  27. MEW 4. S. 482
  28. Der Ein­zi­ge. S. 344
  29. Der Ein­zi­ge. S. 284
  30. Der Ein­zi­ge. S. 331
  31. Fin­ken­ber­ger: S. 183
  32. Die Nietz­sche-Stir­ner-De­bat­te ließe sich ein­fach be­er­di­gen: Stir­ner ist ein Nietz­sche für dumme Kerls; das Recht auf Macht nur eine Schrumpf­form des Wil­len zur Macht.
  33. Helms weist dar­über hin­aus noch dar­auf hin, was er alles nicht be­trach­tet hat: Stir­ners Ein­fluss auf die Ju­gend­be­we­gung, auf die Li­te­ra­tur zwi­schen 1895 und 1930 und auch heute wie­der [und] ana­lo­ge Do­ku­men­te aus der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Li­te­ra­tur. S. 5
  34. Das Wört­chen Ich kommt ca 1.300 mal vor, dem rutscht 450 mal ein Wir unter, und um die 420 mal wird das Du adres­siert. Auch dies hätte Jörg Fin­ken­ber­ger von Helms ler­nen kön­nen: Dass das pro­gram­ma­ti­sche Schwan­ken zwi­schen Ich und Wir in ein und dem­sel­ben Text ein sug­ges­ti­ver, dem­ago­gi­scher Akt ist.
  35. Hei­deg­ger: Ein­füh­rung in die Me­ta­phy­sik. S. 53
  36. Die Mit­tel­stän­de, der klei­ne In­dus­tri­el­le, der klei­ne Kauf­mann, der Hand­wer­ker, der Bauer, sie alle be­kämp­fen die Bour­geoi­sie, um ihre Exis­tenz als Mit­tel­stän­de vor dem Un­ter­gang zu si­chern. Sie sind also nicht re­vo­lu­tio­när, son­dern kon­ser­va­tiv. Noch mehr, sie sind re­ak­tio­när, sie su­chen das Rad der Ge­schich­te zu­rück­zu­dre­hen. Sind sie re­vo­lu­tio­när, so sind sie es im Hin­blick auf den ihnen be­vor­ste­hen­den Über­gang ins Pro­le­ta­ri­at, so ver­tei­di­gen sie nicht ihre ge­gen­wär­ti­gen, son­dern ihre zu­künf­ti­gen In­ter­es­sen, so ver­las­sen sie ihren ei­ge­nen Stand­punkt, um sich auf den des Pro­le­ta­ri­ats zu stel­len. – Das Lum­pen­pro­le­ta­ri­at, diese pas­si­ve Ver­fau­lung der un­ters­ten Schich­ten der alten Ge­sell­schaft, wird durch eine pro­le­ta­ri­sche Re­vo­lu­ti­on stel­len­wei­se in die Be­we­gung hin­ein­ge­schleu­dert, sei­ner gan­zen Le­bens­la­ge nach wird es be­reit­wil­li­ger sein, sich zu re­ak­tio­nä­ren Um­trie­ben er­kau­fen zu las­sen. […] In den Län­dern, wo sich die mo­der­ne Zi­vi­li­sa­ti­on ent­wi­ckelt hat, hat sich eine neue Klein­bür­ger­schaft ge­bil­det, die zwi­schen dem Pro­le­ta­ri­at und der Bour­geoi­sie schwebt und als er­gän­zen­der Teil der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft stets von neuem sich bil­det, deren Mit­glie­der aber be­stän­dig durch die Kon­kur­renz ins Pro­le­ta­ri­at hin­ab­ge­schleu­dert wer­den, ja selbst mit der Ent­wick­lung der gro­ßen In­dus­trie einen Zeit­punkt her­an­na­hen sehen, wo sie als selb­stän­di­ger Teil der mo­der­nen Ge­sell­schaft gänz­lich ver­schwin­den und im Han­del, in der Ma­nu­fak­tur, in der Agri­kul­tur durch Ar­beits­auf­se­her und Do­mes­ti­ken er­setzt wer­den. In Län­dern wie Frank­reich, wo die Bau­ern­klas­se weit mehr als die Hälf­te der Be­völ­ke­rung aus­macht, war es na­tür­lich, daß Schrift­stel­ler, die für das Pro­le­ta­ri­at gegen die Bour­geoi­sie auf­tra­ten, an ihre Kri­tik des Bour­geois­re­gimes den klein­bür­ger­li­chen und klein­bäu­er­li­chen Maß­stab an­leg­ten und die Par­tei der Ar­bei­ter vom Stand­punkt des Klein­bür­ger­tums er­grif­fen. Es bil­de­te sich so der klein­bür­ger­li­che So­zia­lis­mus.
  37. Marx: Über Proud­hon. MEW 16. S. 31f
  38. Marx: 18. Brum­ai­re. MEW 8. S. 144 Die theo­re­ti­schen Re­vo­lu­tio­nä­re von Kri­sis/Exit, Lo­hoff und Kurz, haben mit ihrem af­fir­ma­ti­ven Be­griff der An­ti­k­las­se, nicht zu ver­wech­seln mit Ador­nos An­ti­sys­tem, somit sehr schön ihren ei­ge­nen ge­sell­schaft­li­chen Stand­punkt aus­ge­drückt. Fer­ner sieht man schön, wer nun über An­ti­ras­se und An­ti­k­las­se sich selbst mit dem fast ver­nich­te­ten aus­er­wähl­ten Volk Got­tes iden­ti­fi­ziert. http://​www.​exit-​online.​org/​textanz1.​php?​tab​elle=sch​werp​unkt​e&​index=1&​posnr=131&​bac​ktex​t1=tex​t1.​php Des­halb lan­den fol­ge­recht auch Au­to­ren aus die­sem Kreis bei Stir­ner: Ul­rich, Jörg: Max Stir­ner: Kri­tik der Men­schen­rech­te. Oder: Die Ge­burt des Un-Men­schen aus dem Geist des frei­en In­di­vi­du­ums, = Stir­ne­ria­na, Bd. 31, hg. v. K. W. Fle­ming, Leip­zig 2007.
  39. Kra­cau­er: S. 11
  40. Kra­cau­er: S. 12
  41. Kra­cau­er: S. 13 Fer­ner ver­merkt Kra­cau­er, dass un­se­re gro­ßen deut­schen Städ­te heute keine In­dus­trie­städ­te, son­dern An­ge­stell­ten- und Be­am­ten­städ­te seien und ins­be­son­de­re für Ber­lin eine aus­ge­spro­che­ne An­ge­stell­ten­kul­tur.
  42. Kra­cau­er: S. 13
  43. Ador­no: GS, Band 8. S. 391
  44. Kra­cau­er: S. 82
  45. Be­he­moth, S. 656
  46. Womit nicht ge­sagt ist, dass diese Be­rufs­grup­pen nicht ihre ganz ei­ge­nen Wege fin­den, sich zum Trä­ger der Ideo­lo­gie zu ma­chen.
  47. Der so­ge­nann­te Sci­ence March bei­spiels­wei­se ist über weite Stre­cken als eben sol­che be­ruf­li­che Selbst­ver­tei­di­gung zu be­trach­ten.
  48. http://​www.​zeit.​de/​1967/​49/​die-​misere-​des-​mit​tels​tand​es/​kom​plet​tans​icht
  49. www.​die-​unv​erzi​chtb​aren.​de heißt eine Web­site des öf­fent­li­chen Diens­tes. In Deutsch­land exis­tie­ren fer­ner neben dem klas­si­schen Staats­dienst mit un­ge­fähr 6 Mil­lio­nen Be­schäf­tig­ten fast 21.000 ge­mein­nüt­zi­ge Stif­tun­gen.
  50. Was unter Willy Brandt und Hel­mut Schmidt be­gann, kam erst nach dem Umzug, also in der rot-grü­nen Ber­li­ner Re­pu­blik unter Schrö­der und Fi­scher zu den heute er­fahr­ba­ren Aus­ma­ßen.
  51. Die Un­ter­schei­dung von rech­tem und lin­kem Klein­bür­ger wäre in der Selbst­be­zeich­nung wohl der zwi­schen Leis­tungs­trä­ger und Mu­lit­pli­ka­tor. Beide neh­men sich in ihrer An­ma­ßung wahr­lich we­ni­ger als ihnen je­mals be­wusst wer­den kann.
  52. Nicht nur das In­sti­tut für An­ti­se­mi­tis­mus­for­schung hat sich die Is­la­mo­phi­lie auf die Fahne ge­schrie­ben. Das Ber­li­ner Jü­di­sche Mu­se­um zeigt mo­men­tan eine Aus­stel­lung, in der die is­la­mi­sche Burka und das Kopf­tuch mit der Kopf­be­de­ckung jü­di­scher Frau­en oder christ­li­cher Non­nen, ja gar jener von Grace Kelly iden­tisch ge­setzt wird, ohne auch nur die ge­rings­te Dif­fe­renz zu be­mer­ken.
  53. Der Ein­zi­ge. S. 354
  54. MEW 3, S. 360
  55. Ich und Mich sind immer groß­ge­schrie­ben, dar­auf legt Stir­ner ex­pli­zit gro­ßen Wert.
  56. In diese Rich­tung wäre auch die neue re­pres­siv-ent­sub­li­mier­te Se­xua­li­tät zu ent­zif­fern – näm­lich als ver­ewig­te Vor­lust, schein­bar ra­di­ka­les Pet­ting.
  57. Die Ap­po­si­ti­on ist der Graue Sankt San­chos, seine lo­gi­sche und his­to­ri­sche Lo­ko­mo­ti­ve, die auf ihren kür­zes­ten und ein­fachs­ten Aus­druck re­du­zier­te trei­ben­de Kraft des Buchs. Um eine Vor­stel­lung in eine an­de­re zu ver­wan­deln oder die Iden­ti­tät zwei­er ganz dis­pa­ra­ten Dinge nach­zu­wei­sen, wer­den ei­ni­ge Mit­tel­glie­der ge­sucht, die teils dem Sinn, teils der Ety­mo­lo­gie, teils dem blo­ßen Klan­ge nach zur Her­stel­lung eines schein­ba­ren Zu­sam­men­hangs zwi­schen den bei­den Grund­vor­stel­lun­gen brauch­bar sind. Diese wer­den dann in der Form der Ap­po­si­ti­on der ers­ten Vor­stel­lung an­ge­hängt, und zwar so, daß man immer wei­ter von dem ab­kommt, wovon man aus­ging, und immer näher zu dem kommt, wohin man will. Ist die Ap­po­si­ti­ons­ket­te so weit prä­pa­riert, daß man ohne Ge­fahr schlie­ßen kann, so wird ver­mit­telst eines Ge­dan­ken­strichs die Schluß­vor­stel­lung eben­falls als Ap­po­si­ti­on an­ge­han­gen, und das Kunst­stück ist fer­tig. Dies ist eine höchst emp­feh­lens­wer­te Ma­nier des Ge­dan­ken­schmug­gels, die um so wirk­sa­mer ist, je mehr sie zum Hebel der Haupt­ent­wick­lun­gen ge­macht wird. Wenn man dies Kunst­stück be­reits meh­re­re Male mit Er­folg voll­zo­gen hat, so kann man, nach Sankt San­chos Vor­gang, all­mäh­lich ei­ni­ge Mit­tel­glie­der aus­las­sen und end­lich die Ap­po­si­ti­ons­rei­he auf die al­ler­not­dürf­tigs­ten Haken re­du­zie­ren. […]Der Ap­po­si­ti­on zur Seite geht die Syn­ony­mik, die von Sankt San­cho nach allen Sei­ten hin ex­ploi­tiert wird. Wenn zwei Worte ety­mo­lo­gisch zu­sam­men­hän­gen oder nur ähn­li­chen Klang haben, so wer­den sie so­li­da­risch für­ein­an­der ver­ant­wort­lich ge­macht, oder wenn ein Wort ver­schie­de­ne Be­deu­tun­gen hat, so wird dies Wort nach Be­dürf­nis bald in der einen, bald in der an­dern Be­deu­tung, und zwar mit dem Schei­ne ge­braucht, als spre­che Sankt San­cho von Einer und der­sel­ben Sache in ver­schie­de­nen Bre­chun­gen MEW 3, S. 255ff
  58. ahd. in por, in pora = in die Höhe → mhd. en bor, embor 
  59. MEW 3, S. 361
  60. Der Ein­zi­ge. S. 78f.
  61. Vgl Tho­mas Maul: Kri­tik der dem­ago­gi­schen Ver­nunft. In Ba­ha­mas 70/2015
  62. Der Ein­zi­ge. S. 204f.
  63. Der Ein­zi­ge. S. 356
  64. Der Ein­zi­ge. S. 264 ff
  65. Stir­ner starb üb­ri­gens eben­so he­ro­isch wie er schrieb. Er erlag nach einem Duell mit einer em­pör­ten Biene den Nach­wir­kun­gen ihres Stichs.
  66. MEW 3, S, 193
  67. Vgl bspw. Der Ein­zi­ge. S. 264 ff
  68. Bsplw. Mau­rice Schuh­mann: Ra­di­ka­le In­di­vi­dua­li­tät. Zur Ak­tua­li­tät der Kon­zep­te von Mar­quis de Sade, Max Stir­ner und Fried­rich Nietz­sche. Bie­le­feld 2011.
  69. http://​www.​spiegel.​de/​spiegel/​print/​d-​45202573.​html
  70. Helms: Fe­tisch Re­vo­lu­ti­on. S. 41f
  71. Fe­tisch Re­vo­lu­ti­on. S. 79
  72. MEW 3, S. 351
  73. Am Bil­dungs­not­stand dürf­te weit mehr als der akute Leh­rer­man­gel, die schwie­ri­gen zu­künf­ti­gen Job­aus­sich­ten im Bil­dungs­we­sen als un­ter­schwel­li­ges und ra­tio­na­li­sier­tes Em­pö­rungs­mo­tiv ge­dient haben.
  74. In Polen hin­ge­gen be­gan­nen die 1968er Mär­z­un­ru­hen als de­zi­diert pro­is­ra­ei­li­sche, an­ti-an­ti­se­mi­ti­sche und pro­zio­nis­ti­sche wäh­rend des Sechs-Ta­ge-Krie­ges
  75. http://​jungle-​world.​com/​artikel/​2009/​02/​32428.​html
  76. Der Ein­zug der deut­schen Ideo­lo­gie in den USA ist klar in der jün­ge­ren Ge­schich­te zu be­ob­ach­ten, als Re­pu­bli­ka­ner und De­mo­kra­ten ihre Po­si­tio­nen eben nicht ein­fach nur ver­tausch­ten, son­dern dabei auch ziem­li­chen Wand­lun­gen un­ter­zo­gen und die De­mo­kra­ten deutsch wur­den.
  77. Sub­ti­li­tät wäre dem­nach die wich­tigs­te Neue­rung der neus­ten deut­schen Ideo­lo­gie.
  78. Vgl Mutti Mer­kel und die je­wei­li­gen Pro­jek­tio­nen.
  79. Stéphane Hes­sel: Em­pört Euch! Ber­lin 2010. S. 9ff m. Her­vorh.
  80. Im Un­ter­schied zu den jung­he­ge­lia­ni­schen Stu­den­ten aller Zei­ten gilt auch für Helms ein von Ador­no ge­borg­tes Wort über Kra­cau­er: In den Klein­bür­gern und An­ge­stell­ten, die ihn be­lus­ti­gen, trifft er ein Stück sei­ner ei­ge­nen Re­ak­ti­ons­form. Ador­no. Ein wun­der­li­cher Rea­list. In Noten Band 3. S. 94
  81. Eine spä­te­re Ma­na­ge­rin die­ser Band, Clau­dia Roth, ist heute Vi­ze­prä­si­den­tin des Deut­schen Bun­des­ta­ges
  82. Der Jour­na­list Flo­ri­an Neu­ner frag­te 2003 Helms in der Zeit­schrift Stein­schlag: Ma­nö­vriert sich der glo­ba­le Ka­pi­ta­lis­mus in eine fi­na­le Krise oder ist das ein Zu­stand, der sich noch auf Jahr­zehn­te wei­ter fort­spin­nen kann? Helms ant­wor­te­te: Ich fürch­te eher das Letz­te­re und bin nicht ein­mal si­cher, daß es sich nur um Jahr­zehn­te han­delt. Es kann auch noch ein gan­zes Jahr­hun­dert an­dau­ern. http://​www.​sch​eins​chla​g.​de/​archiv/​2003/​06_​2003/​texte/​22.​html
  83. http://​www.​spiegel.​de/​spiegel/​print/​d-​46437789.​html
  84. Stéphane Hes­sel: Em­pört Euch! Ber­lin 2010. S. 9ff
  85. Len­hard/Gru­ber
  86. Mario Rossi: Marx e la di­alet­ti­ca he­ge­lia­na. Band 3. S. 696ff.
  87. Mar­cu­se. Exis­ten­tia­lis­mus. In: Kul­tur und Ge­sell­schaft 2. S. 52
  88. Mar­cu­se: S. 66
  89. Mar­cu­se: S. 67
  90. Es ist fer­ner wahr­lich kein Wun­der, dass Sart­re der af­fir­ma­tiv meist­zi­tier­te linke In­tel­lek­tu­el­le in der Ernst Jün­ger-Jün­ger-Zei­tung die Junge Frei­heit ist.
  91. Dor­nis: in: Ge­gen­auf­klä­rung. S. 152f.
  92. Dor­nis: in: Ge­gen­auf­klä­rung S. 147
  93. Cle­mens Nacht­mann: Kri­sen­be­wäl­ti­gung ohne Ende. In Gri­gat: Post­na­zis­mus re­vi­si­ted. S. 159
  94. Dor­nis: S. 138
  95. Sart­re: Ca­hiers pour une mo­ra­le. S. 102
  96. Der Ein­zi­ge S. 332
  97. Der be­tref­fen­de Henri Drey­fus-Le Foyer war der Groß­nef­fe des be­rühm­te­ren Drey­fus. Sart­re hat sich m.E. nie­mals zu die­sem faux-pas ge­äu­ßert. Dass hier auf seine Bio­gra­phie zu­rück­ge­grif­fen wird, ist zu­läs­sig, da er selbst sein Leben durch und durch öf­fent­lich mach­te, und nur des­halb.
  98. Dor­nis: S. 152f
  99. So schrei­ben Stir­ner-Fans: Eine Zäsur in der Stir­ner-Re­zep­ti­on be­wirk­te Henri Ar­vons Pu­bli­ka­ti­on von 1954, in der wohl zum ers­ten Mal Stir­ner als Quel­le des Exis­ten­zia­lis­mus ge­nannt wurde und Stir­ner von Arvon zu einem fran­zö­si­schen Phi­lo­so­phen ge­macht wurde. Be­reits in den 30er und 40er Jah­ren lässt sich eine Lek­tü­re Stir­ners bei exis­ten­zia­lis­ti­schen Au­to­ren wie Al­bert Camus, Si­mo­ne de Be­au­voir und Jean-Paul Sart­re nach­wei­sen. Stir­ner blieb und ist seit­dem prä­sent im li­te­ra­ri­schen, künst­le­ri­schen und phi­lo­so­phi­schen Dis­kurs in Frank­reich. Zu nen­nen sind Ge­or­ges Ba­tail­le, Emile Ar­mand, Mi­chel Fou­cault, Mar­cel Duch­amp und zahl­rei­che an­de­re.
    In­be­son­de­re in der Iden­ti­fi­zie­rung von de Sade und Stir­ner lässt sich ein Groß­teil des geis­ti­gen Elends des Exis­ten­zia­lis­mus schon er­ken­nen. Vgl. Sart­re: Mar­xis­mus und Exis­ten­zia­lis­mus. 1965. S. 92ff. und Be­au­voir: Soll man de Sade ver­bren­nen? Ham­burg 1984. S. 64 Der di­rek­te Bezug auf Stir­ner dürf­te eine Lek­tü­re be­le­gen.
  100. Pa­schu­ka­nis:. S. 158
  101. Um ge­nau­er zu sein: die ju­ris­ti­sche Per­son, die gegen das abs­trak­te Recht pö­belt, und meint, aus sei­ner Per­son po­si­ti­ve An­sprü­che ab­lei­ten zu kön­nen. Was Stir­ner, Sart­re und Kon­sor­ten an der Rechts­form auf­stößt, ist deren nur for­mel­le Ei­gen­schaft: Sie qua­li­fi­ziert alle Leute als ei­gen­tums­wür­dig, macht sie aber kei­nes­wegs zu Ei­gen­tü­mern. Eben dies gilt auch für den Staats­bür­ger, der eben nicht au­to­ma­tisch, also nicht über­all mit staat­li­chen Al­mo­sen ent­sol­de­ter Staats­die­ner ist, und des­halb trotz­dem ver­hun­gern kann.
  102. Der Ein­zi­ge. S. 85
  103. Der Ein­zi­ge. S. 27
  104. Der Ein­zi­ge. S. 203
  105. Pa­schu­ka­nis: S. 126
  106. http://​www.​ca-​ira.​net/​isf/​jourfixe/​jf-​2016-​1_​flu​echt​ling​spol​itik.​php
  107. Hier­bei han­delt es sich um einen un­be­stimm­ten Rechts­be­griff – wie Ge­wis­sen oder Wohl des Kin­des, wobei wie­der­um nicht das Kind das Abs­trak­te ist.
  108. Dazu Helms über Stir­ner: Weil der Ein­zi­ge in Ich­form ge­schrie­ben wurde, aber kein kon­kre­tes Sub­jekt sicht­bar ist, liest der Leser ihn wie seine ei­ge­ne wunsch­vol­le Bio­gra­phie. (S. 202)
  109. Ador­no: ND. S. 154
  110. Ebd. S. 157
  111. Dah­l­mann: Frei­heit und Sou­ve­rä­ni­tät. S. 72f.
  112. sans phra­se. Heft 5. S. 128
  113. Pa­schu­ka­nis: S. 114
  114. Ador­no: ND. S. 358
  115. sans phra­se 5, S. 133
  116. sans phra­se. Heft 4. S. 241f.
  117. Ebd. S. 242
  118. Ador­no: GS 10.2. S. 798
  119. Aris­to­te­les: Rhe­to­rik. 2. Buch. 2. Ka­pi­tel. 1378ff
  120. Fanon: Die Ver­damm­ten die­ser Erde. S. 27
  121. Arendt: Macht und Ge­walt. S. 23
  122. Ebd. S. 23f.
  123. MEW 3, S. 358
  124. Der Ein­zi­ge. S. 88
  125. Ich per­sön­lich möch­te gerne und dabei durch­aus de­mü­tig ein­ge­ste­hen, aus den (frü­he­ren) Schrif­ten von Scheit und Ge­nos­sen ei­ni­ges ge­lernt zu haben. Die Kri­tik über den Wan­del ist fer­ner über weite Stre­cken schlicht­weg Aus­druck einer ge­wis­sen Trau­er über den Ver­lust einer ver­gan­ge­nen ge­hö­ri­gen, wenn auch nicht per se un­ge­trüb­ten geis­ti­gen Nähe.
  126. Der Ein­zi­ge. S. 270 Stir­ners se­lek­ti­ver Ehr­be­zug ist fer­ner sym­pto­ma­tisch für die Ehr­vor­stel­lun­gen des Ban­den­mit­glieds: Wer eben­da­selbst einem Kom­mi­li­to­nen sein Eh­ren­wort brach, war infam; wer es dem Uni­ver­si­täts-Rich­ter gab, lach­te im Ver­ein mit eben die­sen Kom­mi­li­to­nen den Ge­täusch­ten aus, der sich ein­bil­de­te, dass ein Wort unter Freun­den und unter Fein­den den­sel­ben Wert habe. Der Ein­zi­ge S. 339
  127. Als Lek­tü­reh­in­weis sei er­wähnt, dass Slo­ter­di­jk sein Werk über den Zorn aus­ge­rech­net Zorn und Zeit nann­te, viel­leicht dient es den Wie­nern als sinn­vol­le Er­gän­zung zu Sein und Nichts für ihr neues Pro­gramm aus Zorn und Nichts.
  128. MEW 3, S. 366
  129. Ador­no: GS 10.2. S. 798
  130. sans phra­se. Heft 3. S. 167 oder auch zum zwei­ten Mal in: Scheit. Kri­tik des po­li­ti­schen En­ga­ge­ments. S. 377. Hier je­doch er­wei­tert um den Grund­la­gen­for­scher Die­ter Sturm.
  131. http://​nic​htid​enti​sche​s.​de/​gesammelte-​werke/
  132. Die Stir­ner­sche Em­pö­rung und Selbst­mäch­tig­keit gibt es seit Jahr­zehn­ten in zahl­rei­chen Er­schei­nun­gen: Re­vol­te, En­ga­ge­ment, Wir­kungs­macht, He­ge­mo­nie, sym­bo­li­sches Ka­pi­tal und zahl­rei­che mehr sind nur Aus­druck des sel­ben Grund­be­dürf­nis­ses, das sich im Den­ken nicht zu­rück­nimmt, son­dern aus­lebt.

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