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Ingeborg Bachmann und Paul Celan https://con-una-lettera.tumblr.com/post/172110424092/paul-celan-a-ingeborg-bachmann-parigi-20 |
27.02.2018 | Ingeborg Bachmann und die Unfähigkeit der Gruppe 47 zu verstehen
Die Unfähigkeit zu verstehen
von Chaim Noll Eine Kritik von Ina Hartwigs Ingeborg-Bachmann-Biographie
Der empfindsame Celan hatte dann allerdings den Eindruck, sie sei in der anschließenden Diskussion – von der Gruppe 47 als demonstrativ demokratisches Element im deutschen Nachkriegliteraturbetrieb eingeführt – nicht entschieden genug für ihn eingetreten. Er heiratete jedenfalls noch im selben Jahr eine andere Frau, die französische Comtesse Gisèle de l’Estrange. Mit Ingeborg Bachmann traf er sich weiterhin und unterhielt einen ausgedehnten, poetisch-intimen Briefwechsel. Die in Rom lebende Dichterin schrieb kurz nach Celans Selbstmord, zwei Jahre vor ihrem eigenen tragischen Tod, in ihrem autobiographischen Roman »Malina«: »Mein Leben ist zu Ende, denn er ist auf dem Transport im Fluss ertrunken, er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben.«
Nach Darstellung von Hartwig soll Hans Werner Richter wegen seiner bornierten, Celan schockierenden Reaktion auf die »Todesfuge« später Gewissensqualen empfunden haben, doch die betreffende Stelle in Richters Tagebüchern, die sie im Anhang zitiert, erweckt eher den Eindruck, als habe Richter nicht wirklich begriffen, warum der Jude Celan ihm, wie er schreibt, »nie verziehen« hatte. Weil Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger ihn, Richter, »unter wahren Tränenströmen immer wieder« bedrängten, habe er sich schließlich bei Celan für die höhnischen Bemerkungen entschuldigt, die er ganz absichtslos getätigt haben will. Auch der Literaturkritiker Helmut Böttiger versuchte in einem 2012 erschienenen Buch den Eklat in Niendorf nachträglich herunterzuspielen, etwa durch das Argument, Celan habe für seine Gedichte immerhin den »dritten Preis« bei der Wertung durch die Gruppe 47 erhalten. Was den Dichter, der sich – zu Recht – für erst- und nicht drittklassig hielt, eher noch tiefer erbittert haben dürfte.
Ob das unglückselige, missverständliche und inflationär gebrauchte Wort »Antisemitismus« das Verhalten der deutschen Kollegen zutreffend kennzeichnet, wie andere Autoren urteilen, wage ich dennoch zu bezweifeln. Eher war es Beschränktheit, Unverständnis, eine Unfähigkeit zu verstehen, die Celan aus dem deutschen Literaturbetrieb entgegenschlug. Und die er, bar jeder Leichtigkeit im Umgang mit den für seine Familie so schicksalhaften Deutschen, zu schwer nahm. Oder war es eine so tief sitzende Judenverachtung, dass sie den davon Durchdrungenen nicht einmal bewusst war? Sie hätten diesen Vorwurf entrüstet zurückgewiesen, wie sie es auch heute tun.
Vom geschäftlichen Standpunkt sah Hans Werner Richter durchaus, was Deutschland mit dem Holocaust verloren hatte. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel begründete er im September 1952 das Fiasko einer von ihm herausgegebenen Literaturzeitschrift mit dem Mangel eines literaturverständigen deutschen Publikums: »Es fehlen heute in Deutschland 50 000 literarisch interessierte Juden, die es vorher gab.«
Ina Hartwig: Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biographie in Bruchstücken. S. Fischer, Frankfurt am Main 2018, 320 Seiten, 22 Euro
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