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Margot Friedländer (auch: Margot Friedlander; * 5. November[1] 1921 in Berlin als Margot Bendheim) ist eine deutsche Überlebende des Holocaust, die als Zeitzeugin auftritt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Margot_Friedl%C3%A4nder
Margots Eltern waren der Handlungsgehilfe Artur Bendheim und seine Frau Auguste, geborene Gross.[2] Die Familie war jüdischer Konfession. 1937 ließen sich die Eltern scheiden.[3][2] Margot lebte mit ihrem vier Jahre jüngeren Bruder Ralph bei der Mutter in Berlin-Kreuzberg. Sie versuchten mehrmals auszuwandern. 1938 verweigerten die USA die Immigration. 1942 wurde ihr Vater in einem Vernichtungslager ermordet. Am 20. Januar 1943 planten sie ihre Flucht aus Deutschland, Ralph wurde aber von der Gestapo verhaftet. Die Mutter konnte noch eine Handtasche mit ihrem Adressbuch und einer Bernsteinkette bei Nachbarn deponieren, bevor sie sich der Polizei stellte, um ihren Sohn Ralph zu begleiten.[3] Die Nachbarn übermittelten Margot zudem die mündliche Botschaft ihrer Mutter: „Versuche, dein Leben zu machen.“ Die Mutter und der Bruder wurden im KZ Auschwitz ermordet.
Margot lebte fortan in verschiedenen Verstecken. Sie färbte sich die schwarzen Haare tizianrot und ersetzte den Judenstern durch eine Kette mit Kreuz. Sie ließ ihre Nase operieren bzw. verändern, um nicht dem Vorurteil über das Aussehen von Juden zu entsprechen und so als Jüdin erkannt zu werden. Ihre wechselnden Verstecke fand sie bei Gegnern des Nationalsozialismus, wobei ihre Notlage jedoch auch ausgenutzt wurde.[3] Im Frühjahr 1944 geriet sie in eine Kontrolle von „Greifern“ − Juden, die im Auftrag der SS andere Juden aufspüren und ausliefern sollten.[4] Sie wurde verhaftet und in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Dort traf sie Adolf Friedländer wieder, den sie von ihrer Arbeit als Kostümschneiderin beim Jüdischen Kulturbund kannte, wo er Leiter der Verwaltung war.[5] Auch er hatte seine gesamte Familie verloren.
Gemeinsam überlebten Margot und Adolf den Holocaust, heirateten und reisten 1946 per Schiff nach New York. Dort nahmen sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an und schrieben ihren Nachnamen „Friedlander“.
Margot Friedländer arbeitete in New York unter anderem als Änderungsschneiderin und Reiseagentin. 1997 starb Adolf Friedländer. Nach Adolfs Tod besuchte Margot einen Seniorenkurs für biografisches Schreiben des jüdischen Kulturzentrums 92Y, in welchem ihr Mann Associate Executive Director gewesen war.[6] Eine ihrer ersten Geschichten handelt von ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager. Durch die Veröffentlichung ihrer Geschichten lernte Margot einen Dokumentarfilmer kennen, der mit ihr in ihrer alten Heimatstadt Berlin einen Dokumentarfilm drehte.[7] Margot Friedländer nahm 2003 eine Einladung des Berliner Senats für „verfolgte und emigrierte Bürger“ an und besuchte ihre Heimatstadt. 2008 erschien ihre Autobiografie Versuche, dein Leben zu machen. Nach weiteren Besuchen in ihrer Heimatstadt beschloss sie, ganz zurückzukehren. Seit 2010 lebt sie wieder in Berlin.[8] Sie erhielt die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Heute besucht Margot Friedländer bis zu dreimal wöchentlich Schulen und andere Einrichtungen in ganz Deutschland, um über ihr Leben zu berichten.[3] Dabei trägt sie gelegentlich die Bernsteinkette, die sie von ihrer Mutter erhalten hatte.
2011 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen, das ihr am 9. November 2011 vom damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff im Schloss Bellevue überreicht wurde.[9] Die von ihr selbst gelesene Hörbuch-Fassung ihrer Erinnerungen wurde 2016 für den Deutschen Hörbuchpreis nominiert.[10] Am 14. Mai 2019 erhielt Margot Friedländer für ihre Verdienste um ihre Aufklärungsarbeit im Beisein von Christian Wulff und Bundeskanzlerin Angela Merkel den „Talisman“ der Deutschlandstiftung Integration.[11] Am 5. November 2021 vollendete Friedländer ihr 100. Lebensjahr.[12]
Am 25. Mai 2022 wurde an Margot Friedländer im Alter von über 100 Jahren die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin verliehen, mit der sie für ihre „überragenden Verdienste als Zeitzeugin“ und ihre „hervorragende wissenschaftliche Leistung“ als engagierte „Bürgerwissenschaftlerin“ geehrt wurde.[13] Als sie bei der Zeremonie gefragt wurde, ob sie ihre Arbeit fortsetzen oder sich nun zur Ruhe setzen wolle, antwortete sie: „Nö, so lang es geht, gehts“, und ergänzte lachend: „Ich hab doch keine Langeweile.“[14]
Am 23. Januar 2023 wurde die 101-jährige Friedländer mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet. In Zusammenhang mit der Verleihung wurde eine Büste Friedländers von der Künstlerin Stephanie von Dallwitz enthüllt. Die Regierende Bürgermeisterin Berlins, Franziska Giffey, teilte dazu mit: „Mit der Skulptur von Margot Friedländer im Roten Rathaus zeigen wir an prominenter Stelle, dass im Rathaus unserer Stadt auch all die Berliner Jüdinnen und Juden ihren Platz haben, die das menschenverachtende nationalsozialistische Regime vertrieben, deportiert oder ermordet hat.“[15]
Im Jahr 2023 gründete sie die Margot-Friedländer-Stiftung zur Fortführung der Zeitzeugenarbeit und der Verleihung des Margot-Friedländer-Preises.[16]
Margot-Friedländer-Preis
Im Jahr 2014 wurde zum ersten Mal der Margot-Friedländer-Preis durch die Schwarzkopf-Stiftung verliehen. Der Preis und der dazugehörige Wettbewerb sollen Schüler und Lehrer motivieren, sich mit dem Holocaust und heutiger Erinnerungskultur auseinanderzusetzen und sich mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen im Kampf gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Ausgrenzung zu engagieren. Ab 2024 wird der Margot Friedländer Preis von der Margot Friedländer Stiftung verliehen.[17]
Publikationen
- Margot Friedländer mit Malin Schwerdtfeger: «Versuche, dein Leben zu machen». Als Jüdin versteckt in Berlin. Rowohlt Berlin, Berlin 2008, ISBN 978-3-87134-587-6.
- Hörbuch (8 CDs), gelesen von Margot Friedländer. Berlin 2015, speak low, ISBN 978-3-940018-16-8.
- Ich hatte doch noch nicht gelebt. In: Tina Hüttl, Alexander Meschnig (Hrsg.): Uns kriegt ihr nicht: als Kinder versteckt – jüdische Überlebende erzählen. Piper, München 2013, ISBN 978-3-492-05521-5, S. 46–65. Kurzbiografie auf S. 65 f.
- Matthias Ziegler: Ich lieb’ Berlin. Margot Friedländer zum 100. Geburtstag. Ein Portrait. Bildband, Lexxion Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-86965-381-5
Ehrungen
- 2009: Einhard-Preis für Versuche, dein Leben zu machen
- 2011: Bundesverdienstkreuz am Bande
- 2016: Verdienstorden des Landes Berlin
- 2018: Obermayer German Jewish History Award (Distinguished Service Award)
- 2018: Ehrenbürgerwürde Berlins[18]
- 2018: Preis der Deutschen Gesellschaft e. V. für Verdienste um die deutsche und europäische Verständigung[19]
- 2019: „Talisman“ der Deutschlandstiftung Integration
- 2021: Jeanette-Wolff-Medaille der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit[20]
- 2022: Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin[21]
- 2022: Walther-Rathenau-Preis (Laudator Frank-Walter Steinmeier)[22]
- 2023: Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland[23]
Dokumentarfilme
- Don’t Call It Heimweh. Film über Margot Friedländers Besuche in Berlin von Thomas Halaczinsky, USA 2004, 60 Minuten[24]
- Späte Rückkehr von Thomas Halaczinsky, 2010, 45 Minuten
- Jahrhundertzeugen – Margot Friedländer, eine Graphic-Novel-Erzählung von Martin Priess und Michaela Kolster[25]
- Ich bin! Margot Friedländer, Dokudrama, Drehbuch: Hannah und Raymond Lay, UFA Documentary im Auftrag des ZDF, 2023, ca. 90 Minuten
Audioguide
Seit Juni 2013 sind Margot Friedländers Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges in Berlin und ihre Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt in einem Audioguide aufgearbeitet. In einem interaktiven Stadtrundgang durch Berlin können Zuhörer verschiedene Stationen und Verstecke erlaufen. Die einzelnen Stationen wurden von Margot Friedländer eingesprochen und mit dem Potsdamer Unternehmen Yopegu produziert.[26]
Weblinks
- Volker ter Haseborg: Margot Friedländer und die Späte Heimkehr. In: Hamburger Abendblatt vom 13. April 2010
- Thomas Lackmann: Ein Leben im Zwischenraum, Biografie. In: Jüdische Allgemeine vom 29. März 2010
- René Schlott: Holocaust-Zeitzeugin: Leben im Untergrund.. In: Der Spiegel vom 25. August 2014
- mit Philipp Gessler: Ich spreche für alle Menschen, die unschuldig umgebracht wurden. Interview bei Deutschlandfunk Kultur vom 9. November 2013.
- René Schlott: Holocaustüberlebende Margot Friedländer. Ein Jahrhundert Leben.. In: Der Spiegel vom 5. November 2021
- Ich bin! Margot Friedländer in der ZDF-Mediathek. Dokudrama (90 Min.), abrufbar bis 2. November 2028
- Margot Friedländer in der Internet Movie Database (englisch)
Einzelnachweise
- flo: Stadtführung als App – Überlebende des Holocaust erzählt. morgenpost.de vom 26. Juni 2013, abgerufen am 29. April 2019
- Überlebender des Holocaust
- Häftling im Ghetto Theresienstadt
- Zeitzeuge des Holocaust
- Hundertjähriger
- Autobiografie
- Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse
- Träger des Verdienstordens des Landes Berlin
- Ehrenbürger von Berlin
- Obermayer German Jewish History Award
- Ehrendoktor der Freien Universität Berlin
- Person, für die in Berlin-Kreuzberg ein Stolperstein verlegt wurde
- Deutscher Emigrant in den Vereinigten Staaten
- US-Amerikaner
- Deutscher
- Geboren 1921
- Frau
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